Das geraubte Paradies
knurrte eine Frage.
»Ich verstehe nur Francianisch oder Arcadisch«, informierte Carya ihn verlegen.
Verfluchter Mist aber auch!
Seine Augen verengten sich. »Ich wollte wissen, was hier los ist«, wiederholte er auf Francianisch.
Sie erzählte ihm die gleiche schwache Geschichte, dass sie ins falsche Fahrzeug eingestiegen seien.
Der Mann zückte sein Funkgerät. »Wem gehört ihr?«, wollte er wissen, offenbar in dem Glauben, sie seien Invitros.
Was auf mich genau genommen ja sogar zutrifft
, ging es Carya widerwillig durch den Kopf.
»Doktor Morton Freeman«, antwortete sie.
»Doktor Freeman?«, echote der Mann überrascht, so als sei dieser eine durchaus bekannte Persönlichkeit.
»Ja, aber Sie brauchen ihn deswegen wirklich nicht zu stören. Es war ein Versehen. Wir fahren auch sofort zurück. Bitte.« Sie bedachte ihn mit ihrem betörendsten Lächeln und sah ihn mit großen Augen an.
Der Mann seufzte. »Also gut. Setzt euch wieder in den Zug. Es sind ohnehin nur noch zwei Stationen, bevor wir zu Bezirk 2 zurückfahren. Aber ich warne euch: Macht keinen weiteren Unsinn! Ich behalte euch im Auge.«
»Danke.« Sie stiegen wieder ein und nahmen auf den harten blauen Sitzen Platz.
»Das lief ja nicht so gut«, raunte Pitlit ihr zu.
»Nein«, pflichtete Carya ihm bei. »Wie war das doch gleich: Diese Dinger werden schon nicht anschlagen, wenn wir uns bloß ein wenig am Rand umsehen? Von wegen!« Doch immerhin wussten sie nun, wie die Alarmfunktion der Armbänder aussah – und dass sie verdammt wirksam war.
Als sie wieder in Bezirk 2 angekommen waren, stiegen sie aus und begannen die Straße hinunterzuspazieren, während sie überlegten, was sie als Nächstes unternehmen sollten. In möglichst unauffälligen Worten beschlossen sie, zum Fluss hinunterzugehen, dort Füße – und Handgelenke – ins kühlende Nass zu halten und in Ruhe weitere Pläne zu schmieden. Sie hatten allerdings das Flussufer kaum erreicht, als plötzlich ein geräumiger Motorwagen – eine Art Lieferfahrzeug, wie es aussah – neben ihnen hielt und die blausilbern verspiegelte Scheibe auf der Beifahrerseite heruntergefahren wurde.
Eine Frau Mitte zwanzig, deren brave graublaue Bluse und das sorgsam am Hinterkopf zusammengesteckte rote Haar in auffälligem Gegensatz zu dem gewinnenden Lächeln auf ihrem blassen Gesicht standen, blickte ihnen entgegen. »Möchtet ihr vielleicht ein paar Pfirsiche, Äpfel oder Orangen haben?« Gleich darauf legte sie den Zeigefinger an die Lippen und tippte sich auf das entblößte Handgelenk, um das sich eines der allgegenwärtigen Armbänder schlang.
Carya fing sich schnell. »Wir haben keine Bezugsscheine.«
»Wir würden sie euch schenken«, erwiderte die Frau. »Ist zweite Wahl, die der Zentralmarkt nicht haben wollte. Aber bevor wir sie zur Entsaftungsanlage bringen, könnt ihr gerne ein paar einpacken.«
»Äh, na gut. Vielen Dank.«
Die Seitentür des Fahrzeugs ging auf, und ein Mann, der kurioserweise ein gewisse Ähnlichkeit mit dem Arbeiter hatte, den sie vorhin am Rand des Industriebezirks getroffen hatten, winkte sie lautlos näher. Als sie der Aufforderung folgten, zog er sie rasch ins Wageninnere. Auf dem Fahrersitz saß ein grauhaariger Mann, der den Blick unbeirrt auf die Umgebung draußen vor dem Wagen gerichtet hielt. Die Frau auf dem Beifahrersitz hingegen drehte sich um und plauderte munter weiter. »Hier, sucht euch was aus. Die Druckstellen sind nicht schlimm. Das kann man trotzdem alles essen. Schimmelig ist garantiert nichts davon.«
Währenddessen widmete sich der jüngere Mann wortlos und mit erstaunlicher Zielgerichtetheit Caryas und Pitlits Armen. Er drehte sie, sodass er an die Unterseite der Armbänder kam, öffnete dort verborgene Laschen und stöpselte je einen dünnen Stecker ein, der über ein langes Kabel mit einem Rechengerät verbunden war, das im hinteren Bereich des vielleicht zwei mal drei Meter großen Laderaums stand. Er kniete sich davor, und seine Finger begannen in rasender Geschwindigkeit über eine blanke Eingabefläche zu huschen, wobei sie so leise waren, dass ein möglicher Zuhörer vor einem Überwachungsgerät davon sicher nichts mitbekam.
Gleich darauf griff der Mann in eine Schublade unterhalb des Rechengeräts und zog einen kleinen Kasten hervor, den er ebenfalls mit dem Gerät koppelte. Die Frau führte unterdessen mit Carya und Pitlit ein angeregtes Gespräch über Obst. »Das ist total nett von Ihnen«, sagte Pitlit. »Mir knurrt
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