Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Paradies

Das geraubte Paradies

Titel: Das geraubte Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
Vom Netzwerk:
verschwinden, um ihn später zu entsorgen.
Morgen ziehe ich meine eigene Kleidung wieder an
, dachte sie dabei. Sie kam sich vor wie aus einer Haftanstalt entflohen. Andererseits trugen viele Leute auf den Straßen ähnliche Kombinationen. Vielleicht war es gar nicht so dumm, sich an die Kleidungsgepflogenheiten der Talbewohner zu halten.
    Wortkarg, weil doch ein wenig beunruhigt durch die verstohlene Nachricht, nahmen sie ihr Abendessen ein. Anschließend ließ sich Carya auf einem der Sessel vor den Fenstern nieder, und Pitlit machte sich an dem daneben in einem Regal stehenden silbernen Kasten zu schaffen, von dem er behauptete, er könne Musik abspielen. »Es klebte ein Zettel dran, aber ich habe keine Ahnung …«
    Plötzlich dröhnte unvorstellbarer Krach aus zwei Lautsprechern. Es handelte sich um ein Jaulen, Fauchen und Hämmern, das zumindest keiner Musikrichtung entsprach, die Carya bekannt war – wenn es sich denn überhaupt um Musik handelte und nicht um ein Störgeräusch, weil Pitlit einen falschen Knopf gedrückt hatte. »Kannst du das nicht leiser machen?«, schrie Carya.
    »Warum?«, rief Pitlit zurück. »Ich find’s super.« Er warf sich neben Carya aufs Sofa. »Nein, eigentlich finde ich es grauselig«, bekannte er leiser, »aber es erfüllt seinen Zweck. Der Zettel … du weißt schon.«
    »Ja, ist mir klar.«
    »Was hältst du davon?« Er grinste sie breit an und wedelte rhythmisch mit der Faust in der Luft herum, als versuche er, ihr die Vorzüge dieser musikalischen Lärmbelästigung zu verdeutlichen.
    Carya verzog theatralisch das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich kann mir noch keinen Reim darauf machen. Ich frage mich, ob wir Doktor Freeman davon erzählen sollten. Er scheint ein netter Mann zu sein, dem wirklich etwas an mir liegt.«
    »Bist du irre?«, fragte Pitlit. »Der gehört doch zu den oberen Tausend hier. Denen ist nicht zu trauen.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Den oberen Tausend ist nie zu trauen. Das galt für Arcadion und für den Hof des Mondkaisers. Warum sollte es in diesem Tal anders sein?«
    »Also, was schlägst du vor? Ich will mich nicht schon wieder in eine Intrige verstricken lassen, die mich nichts angeht.«
    »Ich würde erst mal abwarten. Soll sich derjenige doch melden und uns erzählen, was er will. Es schadet nicht, ihn anzuhören. Außerdem können wir jeden Verbündeten gebrauchen, den wir kriegen können. Überleg nur, was mit uns passiert, wenn dieser fiese Dymond seinen Willen bekommt.«
    »Also gut«, willigte Carya ein. »Aber jetzt mach die schreckliche Musik leiser. Oder am besten gleich ganz aus. Ich ertrage das nicht länger.«
    »Ach, du hast einfach keinen Geschmack«, befand Pitlit, als er vom Sofa aufstand.
    Carya antwortete nicht. Sie musste über vieles nachdenken, und dafür brauchte sie Ruhe. Glücklicherweise konnte man Gedanken noch nicht belauschen, selbst die Erdenwacht mit all ihren technischen Spielereien war dazu nicht in der Lage.

Kapitel 19
    In der Nacht fand Carya wenig Ruhe. Es lag nicht an ihrem neuen Bett, das ausgesprochen bequem war. Vielmehr raubte ihr der Gedanke den Schlaf, dass jede ihrer Bewegungen rund um die Uhr von aufmerksamen Beobachtern irgendwo verfolgt werden mochte. Sie wusste nicht mal, ob sie sich am nächsten Morgen in die Nasszelle stellen konnte, ohne dass womöglich lüsterne Blicke auf ihr ruhten. Noch am Abend hatten Pitlit und sie unauffällig die Einrichtungsgegenstände auf Überwachungsgeräte hin untersucht. Gefunden hatten sie allerdings nichts, was im Wesentlichen daran lag, dass sie überhaupt keine Vorstellung hatten, wie die erwähnten Augen und Ohren aussehen mochten.
    Ganz abgesehen davon musste sie unablässig an Jonan denken. War er wirklich tot oder vielleicht doch noch am Leben? Einerseits wünschte sie sich Gewissheit, andererseits fürchtete sie die Antwort, die sie auf diese Frage erhalten mochte.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tot ist
, dachte sie.
Er darf einfach nicht tot sein. Was soll ich ohne ihn machen? Wie soll mein Leben aussehen?
Auf keinen Fall wollte sie den Rest ihrer Jahre im Tal der Erdenwacht verbringen, das auf den ersten Blick vielleicht ein Paradies sein mochte, aber letzten Endes ein riesiges Gefängnis war, bloß dass für manche der Mangel an Freiheit weniger deutlich zutage trat als für andere.
    In den frühen Morgenstunden fiel Carya schließlich doch in einen unruhigen Schlaf, und sie träumte von tropfenförmigen Fluggefährten, die

Weitere Kostenlose Bücher