Das Geschenk
mit einem Messer seelenruhig die Haut aufgeschlitzt hatte, nicht tief, absichtlich nicht.
Nicht viel vernünftiger war ihre Ankündigung, die sie dann auch wahr machte, die Wunde, sobald sie vernarbt sein würde, zum Motiv, zum Mittelpunkt einer Tätowierung zu machen. Am Ende begnügte sie sich, der Narbe einfach einen schwarzen Rand zu verpassen, was die Verletzung für immer unübersehbar machte.
So war sie. Sie glaubte daran. Sie wollte, was ihrer Seele weh tat, sehen. Jeder Schnitt ein Zeichen, jedes Zeichen ein Datum, die Strichliste ihrer kleinen Attentate.
Ich kannte sie damals noch nicht lange und wollte sie, glaube ich, eher wieder loswerden und hatte ihr das gesagt. Mehr war nicht. Es war nicht einmal ein Streit. Und dann das, ein Messer, ihr Arm, ein Schnitt, und, schwach und schwermütig, ihr Lächeln, mit dem sie mich bat, sie zu lieben. So fing die ganze Geschichte an.
Nein, wirklich angefangen hatte sie schon vorher, einige Monate früher, als sie im Schlepptau eines politischen Aktivisten (wie man das damals nannte) in meiner Wohnung aufkreuzte. Er ein Ex-Student, Mitglied einer trotzkistischen Splittergruppe, eigentlich aber ein Nichtstuer, den ich flüchtig von Hausbesetzungen und Demonstrationen her kannte, und von den Straßenschlachten, die wir uns als Studenten mit der Polizei geliefert hatten. Sie ein Mädchen, halb Hippie, halb Kalifentochter. Was die beiden miteinander hatten (oder gehabt hatten und wie lange schon), war mir nicht klar. Ich mische mich ungern in laufende Verhältnisse ein, es sei denn … nun ja, es sei denn, ich bin machtlos. Und ich spürte, daß ich kurz davor war, es zu sein, noch bevor ich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Sie war schön, schön wie ein Stein, ein von der Sonne beschienener schöner Stein.
Sie war Italienerin – und drauf und dran, wie ich dann erfuhr, nach Kuba zu fliegen. Reichlich spät, wie ihr Begleiter spottete, die Revolution feiere inzwischen bereits ihr Zehnjähriges! Und junge schöne Revolutionärinnen produziere die Insel genug selbst. Und außerdem: Wenn sie kämpfen, den revolutionären Kampf, wie er sich ausdrückte, wirklich kämpfen wolle, gäbe es in Europa, in Deutschland und wohl auch in Italien genug Möglichkeiten.
Ich kannte das alles, und blieb ruhig. Und sie auch. Und genau das, ihre Ruhe und ihr, wie er das nannte, politischer Ungehorsam (er hatte wahrscheinlich ganz einfach nur Schwachsinn sagen wollen!) schienen seine Nerven zu überfordern. Sie sagte einfach nichts. Sie schien völlig unbeteiligt, saß auf dem Boden, mit demRücken zur Wand, und schrieb oder zeichnete etwas in ein Notizbuch. Es widersprach offenbar ihrer Erziehung, einen Mann ernst zu nehmen, der keinen Humor hatte – und seinen Trotzki nicht kannte. Dieser junge Mann, soll Leo Trotzki nach einer Unterredung mit einem ihm unbekannten Revolutionär gesagt haben, dieser junge Mann ist politisch unzuverlässig, er hat uns nicht einmal eine Tasse Kaffee angeboten.
Ich erbot mich, einen Joint zu rollen.
Ihr Begleiter lehnte mit grimmiger Verachtung ab. Und hielt mir eine Standpauke, der zuzuhören mich amüsierte. Rauschgift sei, informierte er mich, ein vom US-Imperialismus organisiertes Geschäft und der von ihm propagierte Kampf gegen die Drogenkartelle reine Augenwischerei. Die sogenannten anständigen, demokratischen Regierungen hätten alle die Hände tief drin. Drogen seien Waffen, gerichtet gegen das politische Erwachen der Menschen! Es sei Sache des bewaffneten Kampfes, nicht nur der Politik des Feindes den Krieg zu erklären, sondern dem System des Kapitals insgesamt. Und dem Rauschgift! Rauschgift lähme den Willen. Es mache aus Kämpfern Kiffer! Er setzte mich, ich sah es ihm an, gerade auf die schwarze Liste. Rauben wir denen die Zukunft, die sie verraten, den verliebten Taugenichtsen und ihren Künstlern.
Ich hatte nichts dagegen, daß er recht hatte. Mich störte nur seine Sprache; es war die Sprache seiner Flugblätter, er mußte sie auswendig gelernt haben.
Aus keinem ersichtlichen Grund hatte er plötzlich genug. Er holte tief Atem, er inhalierte mehr Luft, als Luft im Zimmer war. Diese ganze Rock-'n-Roll-Scheiße! Daswar das Ende. Woodstock! Was war denn Woodstock!? Woodstock war Disneyland, ein Rummelplatz für Aussteiger! Er schaute Greta an, und die meinte er. Und Greta schaute mich an, wie um sich zu entschuldigen.
Ob ich ein Bier hätte, wollte er wissen.
Nein.
Er konnte es nicht glauben. Nicht eines?
Nicht einen
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