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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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Chuck wieder damit anfing. Es war der Vater so neu geboren wie der Sohn. Er hatte es geschafft. Er war am Tag der Entbindung seine Sucht los, endgültig, für immer.
    Eines Tages würde er ihm alles erzählen, ihre ganze wahre Geschichte.
     
    Zwei Tage später rief er seinen alten Boxtrainer an. Ich bin's, Chuck! Ich hoffe, Sie können sich noch an mich erinnern. Ach du liebe Güte, natürlich! Kampfgewicht 64 Kilo. Keine schlechte Linke, aber keine Deckung. Aus Ihnen wäre nie was geworden! Wenn er so redete, war das ein Kompliment. Leben Sie noch? Was ist passiert? Er hörte sich gut an, der alte Preisboxer. Der Krieg hatte ihm seine Karriere versaut, seine besten Jahre. Und die Jahre seiner Gefangenschaft bei den Russen die Gesundheit. Dann war, viel zu früh, seine Frau gestorben. Er war, um sich nach oben zu boxen, zu gutmütig; und zu anständig, um sich unverdiente Vorteile zu verschaffen. Er widerstand dem Alkohol, obwohl es ihm manchmal schwerfiel, sich nicht zu Tode zu saufen. Reparierte Nähmaschinen und Standuhren und Rasenmäher, ein Handwerk, das er sich selbst beigebracht hatte, als wollte er sich beweisen, daß er nicht nur seine Fäuste zu gebrauchen wußte, sondern, weil es mit den Fäusten nicht mehr ging, seine Finger. Er hatte, wollte er nicht verhungern, keine Wahl gehabt. Wer traute einem herzkranken Rentner noch zu, jungen Burschen das Boxen beizubringen? Ein armer Teufel, aber was für ein liebenswerter, höflicher alter Herr er war! Immer noch aktiv, wollte Chuck wissen? Na ja, sagte er, wenn Sie wieder anfangen wollen, bringe ich mich vorher in Form. Deshalb rufe ich an. Immer noch die gleiche Adresse? Ein Keller, den ein Bekannter für ihn leer geräumt hatte und wo er Privatleuten half, sich fit zu halten; groß genug für einen Ring, einen schweren,von der Decke baumelnden, notdürftig geflickten Sandsack und eine Ecke mit einer kleinen Bank zum Umziehen. An Haken hingen Handtücher, Handschuhe, Bandagen, feucht, schmutzig, mit altem saurem Schweiß imprägniert; der ganze Keller roch danach. An der Innenseite der Tür hing ein Plakat Gegen Tierversuche! Hat sich nichts geändert, sagte er, obwohl die im Haus mich raushaben wollen. Das Übliche! Anständige, brave Bürger! Die sehen jemand, den sie nicht kennen, im Treppenhaus, und viel fehlt nicht, daß sie die Polizei rufen. Es hatte sich also rein gar nichts geändert! Was passiert ist? Nichts, sagte Chuck, ich bin Vater geworden. Hoppla, sagte er, gratuliere! Es gibt nichts Schöneres auf der Welt. Er erzählte von seiner Tochter, die in Australien lebte, von seinen drei Enkelkindern, die er nur von Fotos her kannte, und ihre Stimmen vom Telefon. Und wie ist es Ihnen ergangen, unterbrach ihn Chuck, was macht das Herz? Es geht, sagte er. Was ist es, Junge oder Mädchen? Ein Junge! Gratuliere! Machen Sie die Mutter zu einer glücklichen Frau, dann geht es Ihnen und dem Jungen auch gut, sagte er. Theoretisch war dagegen nicht viel einzuwenden, aber es war eben Theorie. Was für ein schlichtes Gemüt! Wie einfach das war, an was man glauben konnte. Es war fast etwas, an das man selbst gern geglaubt hätte. Als er, Jahre später und längst in einer anderen Stadt wohnhaft, seine Post öffnete, war ein Brief dabeigewesen, den ihm eine alte Freundin geschickt hatte, eine kurze Notiz nur (sie hatte, wie sie schrieb, ihren ihr untreuen Mann verlassen, der sie, wie konventionell, mit seiner Sekretärin betrogen habe, die bereits von ihm schwanger sei, und die Gelegenheit genutzt, gleich auchsonst Ordnung zu machen und ihre Schränke und Schubladen ausgemistet!) zusammen mit einem Foto, einem Polaroid, das seinen Sohn, gerade geboren, an der Brust seiner Mutter zeigte. Ein Bild wie gemalt! Ein Bild, wie es zu allen Jahrhunderten so viele große Künstler der Menschheit überliefert haben, die Darstellung einer frohen Botschaft, die lautete: Siehe, es ist uns ein Kind geboren! Was in die Moderne übersetzt heißt: Tu nichts, um Leben zu verhindern! Die Verkündigung einer einfachen Wahrheit, die Lobpreisung des Lebens, seiner Schönheit und seiner über alles Individuelle, alles Zufällige, allen Schwindel hinausgehenden Reinheit. Wie sehr hatte ihn, als er das Foto anschaute, das Gefühl seiner Unfähigkeit gepeinigt, daran glauben zu können! Was blieb, war der Glaube an die Kunst! Wann fangen wir an? Chuck trommelte seine alten Freunde, mit denen er mit dem Boxen begonnen und dann aufgehört hatte, zusammen, und sie fingen an.
     
    Er war

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