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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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gedeihe ja nicht, weil er der Vater sei. Im Ernst, Chuck! Ich weiß nicht, welches der beiden Geschenke, die dir dieses Mädchen gemacht hat, das größere ist. Daß du mit ihrer Hilfe clean geworden bist – oder daß du Vater geworden bist! Jedenfalls hast du, finde ich, kein Recht, dich zu beklagen, am wenigsten über sie. Sie hat nichts Falsches gemacht. Ganz im Gegenteil. Sie hat aus einem toten Mann etwas wieder Lebendiges gemacht, einen wieder liebenswerten Menschen. Ich meine das ernst, du Idiot! Also hör auf damit, den Helden zu spielen, den du – lange genug, wie ich finde – gegeben hast, den Mann, der am Fenster steht, auf die Welt und die Menschen schaut – und mit nichts etwas zu tun haben will. Es ist nämlich nicht so, daß Dinge einfach passieren, einfach so, und du dann entscheiden kannst, ob es dir paßt oder nicht. Übrigens, ich bin letzte Nacht in deiner rechten Hand aufgewacht, und war richtig verlegen.
     
    Es würde, das war Chuck klar, ein Geduldspiel werden, und die Zeit der einzige Verbündete sein, der ihm blieb. Aus dem Baby würde ein Kind, und aus dem Kind einJunge werden, und irgendwann, wenn das ein Trost war, würden sie eine Zigarette rauchen zusammen; und irgendwann eine Reise machen. Und so fand er sich erst einmal damit ab, daß er, obwohl er das ihm fremde Zuhause weder erobern noch auch nur belagern wollte, der Feind war, eine Rolle, die so ganz neu für Chuck nicht war. Keiner macht sich Freunde, der jeden, der ihm zu nahe kommt, auf Distanz hält. Er wollte das eigene, nicht das Leben anderer retten, wenn er sich verliebte, und verliebt war er, das Laster so vieler Schriftsteller, mehr in das Träumen von der Liebe als in die geliebte Geliebte. Lieber als zu lieben schrieb er Liebesgedichte. Der Biß in ein Butterbrot genügte als Inspiration!
    Hier ein eher dürftiges Beispiel aus jenen Jahren.
     
    Brot und Butter, sagte sie
    und kam mit ihrem Mund ganz nah.
    Ich sah ihre Zunge und verliebte
    mich. Ich verliebte mich,
    schön der Reihe nach,
    in den Mund, ihre Zunge,
    in Brot und Butter.
     
    Es war so viele Sommer lang so einfach mit der Liebe gewesen. Nichts hätte herrlicher sein können als jene Jahre! Es ging leidenschaftlich drunter und drüber, in aller Gründlich- und Großzügigkeit. Keine Fragen, keine Vorwürfe, keine Verstimmungen. Aber die Jahre gingen dahin und bald lief alles wieder auf die alten Geschichten hinaus, auf die eine, alles entscheidende Zärtlichkeit, die schicksalhafte Begegnung, die üblichen Diskussionen.Die Blumen waren welk geworden, die jungen Seelen mutlos, die Gesichter nachdenklich und die Liebe, die so lange so leicht gewesen war, war wieder schwer.
    Es war schlimmer als nur halb so schlimm. Es war, als hätten eine Menge Freunde die Welt verlassen, als sei etwas unwiederholbar zu Ende gegangen.
     
    Es verging ein Jahr, bis Chuck zum ersten Mal überhaupt die Erlaubnis erhielt, den kleinen Kerl einmal übers Wochenende bei sich haben zu dürfen, und das auch nur, weil seine Mutter mit Freundinnen tanzen gehen wollte. Und so machte Chuck neben der Erfahrung, wie lang ein Wochenende sein kann, auch die, wie es sich anfühlt, an einer Plastikente den Mechanismus in Gang zu setzen, der ein Gute-Nacht-Lied spielt (er mußte aufpassen, dabei nicht selbst auf der Stelle einzuschlafen!), einen Kinderwagen zu schieben (gut, sehr gut, kein Problem!) oder einem Kleinkind Scheiße aus seinem Popo zu wischen (er konnte sogar hinschauen!).
    Sehr viel freundlicher wurde Chuck, obwohl er seine Sache als Vater, wie ihm schien, ganz ordentlich machte, auch danach nicht behandelt, als sein Sohn den selbständigen Gang zur Toilette beherrschte – und sich seine Mutter mit ihrem kleinen, von ihr wie eine Majestät verwöhnten Ritter, mit der Situation abgefunden hatte. Abgefunden? Nein, abfinden würde sie sich damit nie. Für sie war Chuck »der Kerl, der mir das angetan hat«, und würde es bleiben!
    Daß er ihr nichts, aber sie sich von ihm alles versprochen hatte, war eine Rechnung, unter die kein Strich zu ziehen war.
    Sie feuerte nur noch hin und wieder zurück, als wollte sie ihn in ihr Gedächtnis zurückrufen oder, was wahrscheinlicher war, ihn endgültig daraus vertreiben, und das per Telefon und meist sehr spät nachts und nicht selten mit unüberhörbar schwerer Zunge, weil sie entweder zuvor irgendwo gefeiert oder sich zu Hause Mut angetrunken hatte und sich, ihr war offenbar jetzt ganz danach, Luft verschaffen wollte, wobei sie ihn

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