Das Geschenk
schuldig sprach (dafür, daß das Kind einen Hautausschlag habe, sein Essen nicht anrühre, nachts, die einzige Zeit, die sie für sich habe, immer wieder aufwache und weine) und ihn, mit verwirrender, aber beeindruckender Ausführlichkeit, einen Scheißkerl nannte, einen unzurechnungsfähigen, arroganten, richtig elenden, richtig miesen, total widerlichen Scheißkerl, und dann (»So, und jetzt denk darüber mal nach!«) einhängte.
Sie lag mit ihrer schmutzigen Liste nicht daneben, nicht ganz. Daß er ein Scheißkerl sein konnte, würden nicht einmal Freunde bestreiten – er selbst übrigens auch nicht. Ich bin, wie er gern kokettierte, nicht einmal bei denen beliebt, die mich lieben, und brachte damit seine Überzeugung zum Ausdruck, daß er bereit war, seine Unabhängigkeit mit einer Konsequenz zu verteidigen, die ungeheuerlich und in jedem Fall verletzend sein konnte. Und es war ihm egal. Er fühlte sich nicht schlecht dabei, daß sein Benehmen, seit er erwachsen war, kaum Fortschritte gemacht hatte.
So, und jetzt denk darüber mal nach, und das tat er. Er dachte nach. Auch über sie, die Zeit mit ihr, die kurze Zeit eines Frühlings, den sie wie ein verliebtes Paar miteinander verlebt hatten; jedenfalls hätte sie jeder, der sie sah,für ein solches gehalten. Aber es hatte ihn dieses Gefühl nicht interessiert, nicht so, wie es hätte sein können, wenn sie ihn anschaute. Die Liebe und das Mädchen, das verliebt war, waren für Chuck nur die Nahrung, die einer, der krank gewesen war, zu seiner Genesung brauchte, etwas, um zu Kräften zu kommen, eine Ablenkung, ein mehr als gesunder Zeitvertreib, vielleicht aber auch, wie er manchmal glaubte, ein Verbrechen. Er kannte genug Geschichten, die von Männern handelten, die sich, aus welchen Gründen auch immer, dieses Verbrechens schuldig gemacht hatten.
Aber ich bin nicht für das Glück geschaffen;
meine Seele kennt es nicht!
Onegins Gleichgültigkeit dem Glück gegenüber ist nur das berühmteste und wortmächtigste Beispiel dieser Anmaßung, der mit der Eitelkeit des Grausamen exekutierten schrecklichen Bestrafung einer Frau, die liebt, ohne wiedergeliebt zu werden. Chuck war zu sehr mit der Wiederbeschaffung seiner Lebensgeister beschäftigt, als daß er sich, grausam oder nicht, durch die Tränen einer Liebenden hätte ablenken lassen. Es war nicht wichtig. Es war nicht einmal, was er an ihr liebte, wichtig. Er schaute, wenn sie weinte, nicht hin. Er wollte sich auch gegen das, was sie sagte, nicht verteidigen. Es gab nichts, was er in seinem Zustand hätte anders machen können. Und schon gar nicht machte er sich Gedanken, was das Ende von all dem sein würde (abgesehen von dem Schlußpunkt, den er am Ende unter seine Sucht setzen wollte!). Er dachte an den alten Ami-Schlitten, einen schwarzglänzenden Chevrolet Impala, den er sich gekauft hatte, und wie sie damit, ohne irgendwo ankommen zu wollen, herumgefahren waren und sie nicht wußte, warum er sie angesprochen hatte in der Bar, und, schüchtern, wie sie war, nicht zu fragen wagte, auch später nie, was er sich vorstellte, was einer wie er von ihr wollte und warum er sich, wie sie trotzdem annahm, mit ihr wohl fühlte. Ihr war etwas Vergleichbares nie zuvor widerfahren. Und jede Fahrt konnte die letzte sein! Und eine war es dann auch.
Die Zeit, als dieses Mädchen bei ihm war, die nackten Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt, war um. Der Frühling, der seine Erfindung gewesen war, war (auch kalendarisch) zu Ende. Chuck kehrte, mit dem Widerwillen gegen alles, was ihn abhängig gemacht und ihn fast das Leben gekostet hatte, an die Schreibmaschine zurück, zu dem Buch, das er begonnen hatte.
Auch das längst nur noch Erinnerungen! Der Dichter, wie er einem in seinen Armen eingeschlafenen Säugling erzählt, wer Rimbaud war. Der Mann, der nie Vater werden wollte. Der Vater, wie er Buntstifte spitzt, mit denen er sein Kind versorgt, das damit dann – mit einer unerklärlichen Vorliebe für die Farbe Gelb – auf alles malt, was da ist, Papier, Tischplatte, Fußboden. Chuck, der sich seiner eigenen frühen Kindheit besinnt und mit ungewohntem Interesse vertraut macht mit den Spuren einer Lebenszeit, an die nicht seine und keines Menschen Erinnerung zurückreicht.
Chuck war nicht der Typ, der ein Kind, nur weil es das eigene war, für einen unwiederholbaren ungewöhnlichenEinzelfall hielt, aber eines Tages wurde er zum Zuschauer von etwas Außergewöhnlichem, was man, wenn man will,
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