Das Geschenk der Wölfe
schnell wie das, was wir hier gerade gesehen haben, ging es nicht, aber ja, die Proben wurden definitiv unbrauchbar. Ihre Haltbarkeit reichte gerade mal aus, um irgendwelche Hormontests durchzuführen und stark erhöhte Kalziumwerte festzustellen, aber danach ging nichts mehr, wie meine Mutter sagt.»
Reuben dachte eine Weile nach, ehe er fortfuhr: «Meine Mutter weiß mehr, als sie zugibt. Nach oder während der zweiten Testphase muss ihr klargeworden sein, dass es etwas in meinem eigenen Körper war, das die Proben vernichtete. Das konnte oder wollte sie mir aber nicht sagen. Wahrscheinlich wollte sie mich nicht beunruhigen. Gott allein weiß, was sie vermutet oder befürchtet. Ach, Mom! Sie hat es gewusst. Deshalb hat sie nein gesagt, als die Behörden an sie herantraten und weitere DNA -Proben verlangten.»
Es machte ihn ganz traurig, dass er nicht mit Grace sprechen konnte. Ihre oberste Priorität war, Leben zu retten. Unmöglich konnte er von ihr erwarten, Verständnis für seinen Zustand aufzubringen oder ihm gar zu helfen. Es war schon schlimm genug, dass er Laura in diese Sache hineingezogen und Jim bis ans Lebensende schlaflose Nächte bereitet hatte.
«Ist dir klar, was das bedeutet?», fragte Laura. «All das Gerede im Fernsehen über menschliche DNA und falsche Spuren an den Tatorten?»
«Allerdings», sagte Reuben. «Es ist, wie du ganz richtig sagst, einfach nur Gerede. Das ist es ja, was ich meinte, Laura! Sie haben keinerlei Beweise gegen mich in der Hand. Buchstäblich nichts.»
Sie sahen einander an.
Reuben griff sich an den Hals. Die Stelle, wo das Monster ihn gebissen hatte, war völlig trocken. Kein Blut mehr.
Beide starrten auf die Leichenteile. Es war kaum noch etwas davon übrig, außer einem Häufchen, das wie Asche aussah. Ein Windstoß hätte es zerstreuen und endgültig die letzten Spuren tilgen können. Aber das war gar nicht nötig. Selbst die Asche schrumpfte und zog sich zurück.
Auch an Lauras Nachthemd hafteten nur noch hellgraue Staubflecken.
Eine Viertelstunde lang saßen sie nur da und beobachteten, was weiter geschah. Schließlich blieben nichts als einige Flecken auf dem Boden zurück, und dann verschwanden auch sie in den Blumen und Ranken des Teppichmusters.
Selbst die Axt reinigte sich wie von selbst.
Reuben hob die zerfetzte Kleidung der Kreatur auf. Weder in den Jacken- noch Hosentaschen fanden sich irgendwelche Hinweise.
Die Schuhe waren weiche Mokassins in einer erstaunlich kleinen Größe. Die Kleidung trug Etiketten eines Herstellers aus Florenz. Alles war von erlesener Qualität und nicht billig. Dennoch war es unmöglich, daraus zu schließen, wer der Mann war oder woher er kam. Falls er damit gerechnet hatte, sich hier zu verwandeln und seine Kleidung zu verlieren, bedeutete es womöglich, dass er irgendwo in der Nähe eine Unterkunft und einen Wagen mit Ersatzkleidung hatte. Nur eins war von ihm geblieben: eine goldene Armbanduhr.
Reuben hob sie auf und betrachtete das große Zifferblatt mit den römischen Zahlen. Dann drehte er sie um. In lateinischen Buchstaben stand dort MARROK .
«Marrok», flüsterte er.
«Du darfst sie nicht behalten», sagte Laura.
«Warum nicht? Alle Spuren sind beseitigt, auch auf seiner Uhr … Fingerabdrücke, Schweiß, DNA .»
Reuben legte die Uhr auf den Kaminsims. Er wollte keinen Streit mit Laura, aber er konnte es nicht über sich bringen, die Uhr zu zerstören. Schließlich war sie das Einzige, was einen Hinweis auf die Identität der Kreatur geben konnte.
Sie warfen die Kleider ins Feuer und beobachteten, wie sie verbrannten.
Inzwischen war Reuben so müde, dass es ihm beinahe körperliche Schmerzen bereitete. Doch er musste noch die Haustür und das gesprengte Schloss reparieren, bevor er wieder zu dem Reuben Golding wurde, der kaum eine Schraube festdrehen oder einen Nagel in die Wand schlagen konnte.
Zusammen mit Laura machte er sich an die Arbeit.
Es dauerte viel länger, als sie erwartet hatten, aber Laura beherrschte den Trick, abgesplitterte Späne in die Löcher zu stopfen, um den Schrauben wieder Halt zu geben, sodass sie das Schloss wieder anbringen konnten. Hauptsache, die Tür konnte wieder fest verschlossen werden, um den Rest sollte sich Galton kümmern.
Reuben brauchte dringend Schlaf.
Obwohl er sehnlich auf die Rückverwandlung wartete, wurde er das Gefühl nicht los, dass er selbst sie verzögerte, denn er hatte Angst davor, wieder schwach zu werden und dem erneuten Angriff einer Bestie
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