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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wehrlos ausgeliefert zu sein.
    Er konnte nicht mehr klar denken. Chrisam. Morphenkinder. Was nutzten diese poetischen Begriffe?
    Der Horror blieb: Es gab noch mehr dieser Kreaturen. Wie würden sie reagieren, wenn sie erfuhren, dass dieses Morphenkind vernichtet worden war?
    Vielleicht standen alle miteinander in Verbindung, wie in einem großen Clan. Vielleicht war es aber auch ein ganzes Volk.
    Felix Nideck musste einer von ihnen sein. Wahrscheinlich lebte er noch, als Morphenkind.
Seine Marchent
, hatte Marrok gesagt. Felix war der, den Reuben am meisten fürchtete. Womöglich war er selbst hierher zurückgekehrt und hatte die Tontafeln geholt. Oder war es doch Marrok gewesen?
    Reuben dachte nach. Er hatte den Werwolf, der sie töten wollte, nicht riechen können. Kein menschlicher, kein tierischer Geruch und auch nicht der Geruch des Bösen.
    Auch während des Kampfs hatte er den Geruch des Bösen nicht wahrgenommen, der ihn sonst anstachelte und über sich hinauswachsen ließ.
    Bedeutete das, auch Marrok hatte an Reuben nichts Böses riechen können? Keinen Geruch der Niedertracht, keinen Geruch eines Zerstörungswillens?
    Hatten sie sich deswegen mit dem Kampf so schwergetan?
    Aber wenn ich sie nicht riechen kann, merke ich nicht, wenn sie herkommen und mir auflauern.
    Davon wollte er Laura lieber nichts sagen.
    Er stand auf und machte einen Kontrollgang durchs Haus.
    Weder er noch Laura wussten, wie die Kreatur hier hereingekommen war. Alle Türen waren verschlossen gewesen. Gleich nach seiner Ankunft hatte er alle Schlösser im Erdgeschoss überprüft.
    Laura hatte gesagt, das Monster sei in die Bibliothek eingedrungen, als sie dort eingeschlafen war, und dort oben habe es ihr erklärt, warum es sie töten müsse, obwohl es eigentlich dagegen sei, unschuldiges Blut zu vergießen. Es hatte auch gesagt, dass es dagegen sei, Frauen zu töten, und es hatte ihr versichert, dass es keineswegs «unempfänglich» für Lauras Schönheit sei. Dann hatte es sie mit einer Blume verglichen, die leider zertreten werden müsse.
    Es war so grausam, dass Reuben kaum zuhören konnte.
    Wahrscheinlich war Marrok durch eins der oberen Fenster eingestiegen.
    Reuben ging in alle Zimmer, auch die kleinen Schlafkammern an der Nordseite des Hauses, die dem Wald gegenüberlagen. Doch alle Fenster waren fest verschlossen.
    Zum ersten Mal öffnete er sämtliche Kleider- und Wäscheschränke, auch die Wandschränke und Badezimmer an der Innenseite der vier Korridore. Nirgendwo fand er eine Öffnung oder einen Treppenaufgang zum Dachgeschoss.
    Als Nächstes stieg er auf den Dachboden, doch auch hier waren alle Fenster fest geschlossen, und eine Treppe im hinteren Teil der Räume war nicht zu finden. Reuben konnte sich nicht vorstellen, wie jemand unbemerkt hier heraufkommen konnte.
    Morgen, dachte er, würde er das ganze Grundstück nach einem Fahrzeug absuchen, mit dem Marrok gekommen war. Außerdem würde er im Wald nach einem Versteck suchen, wo der Eindringling einen Rucksack oder eine Reisetasche versteckt haben könnte.
    Der Morgen begann zu dämmern, und seine Rückverwandlung hatte immer noch nicht begonnen.
    Laura fand er im großen Schlafzimmer wieder. Sie hatte gebadet, sich ein frisches Nachthemd angezogen und das lange Haar ausgebürstet. Vor Erschöpfung war sie ganz blass, aber in Reubens Augen sah sie so frisch und zart aus wie immer.
    Minutenlang versuchte er sie davon zu überzeugen, dass sie abreisen solle. Sie solle seinen Wagen nehmen und in ihr Haus im Süden zurückkehren. Falls Felix Nideck das Oberhaupt der Morphenkinder war und herkommen würde, müsse man damit rechnen, dass er stärker und raffinierter war als alle anderen. Davor wollte er sie schützen. Doch vergeblich. Laura sagte, sie werde ihn niemals verlassen. Sie blieb ganz ruhig und hob nicht einmal die Stimme, aber sie ließ sich nicht beirren.
    «Die einzige Chance, die ich habe, besteht darin, an Felix’ Güte zu appellieren, mit ihm zu reden und irgendwie …» Reuben war zu erschöpft, um weiterzusprechen.
    «Du weißt doch gar nicht, ob du es wirklich mit Felix zu tun bekommen wirst.»
    «Dann mit einem anderen Nideck», sagte Reuben. «Einer von ihnen muss hinter alledem stecken. Diese Kreatur, dieser Marrok, kannte Marchent und hatte den Auftrag, sie zu beschützen. Sonst hätte man ihm nicht die Bewachung dieses Hauses übertragen. Und wer hätte das tun sollen, wenn nicht Felix Nideck?»
    Aber das war nicht die einzige Frage, die Reuben den

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