Das Geschenk der Wölfe
erzählen wusste – von den Wandmalereien bis zu den prächtigen Kachelöfen. Ja, Phil würde von diesem Haus begeistert sein. Er würde es verstehen.
Sie aßen von altem, handbemaltem Porzellan. Manche Stücke waren beschädigt und wiesen Gebrauchsspuren auf, was ihre Schönheit aber nicht minderte. Das Silberbesteck war das schwerste, das Reuben je in den Händen gehalten hatte.
Felice, eine vom Alter gebeugte Frau mit dunkler Haut und weißem Haar, kam und ging, ohne ein Wort zu sagen. Das «junge Mädchen» aus dem Dorf, Nina, war ein robustes dunkelhaariges Persönchen, das von Marchent, dem Esszimmer und den Speisen, die es auf Silbertabletts hereinbrachte, ziemlich eingeschüchtert zu sein schien. Sie kicherte unsicher, seufzte und warf Reuben einen neugierigen Blick zu, als sie sich wieder entfernte.
«Sie scheinen einen Fan zu haben», flüsterte Marchent.
Das Rinderfilet war perfekt geschmort, das Gemüse frisch und nicht zerkocht, der Salat schmackhaft mit leichtem Öl und Kräutern angemacht.
Reuben trank mehr Rotwein, als er eigentlich vorgehabt hatte, aber der Wein war samtig und vollmundig und schien aus einer hervorragenden Lage zu stammen. Er aß auch zu viel. Das tat er immer, wenn er glücklich war, und das war er, sehr sogar.
Marchent erzählte mehr von der Geschichte des Hauses, die Reuben, so gut es ging, bereits recherchiert hatte, bevor er hergekommen war.
Marchents Urgroßvater, jener Felix Nideck, der das Haus erbaut hatte, war ein Holzbaron gewesen. Ihm gehörten zwei Sägemühlen an der Küste sowie ein kleinerer Hafen, den es schon lange nicht mehr gab. Das Holz für dieses Haus war in der Umgebung geschlagen und verarbeitet worden, während Marmor und Granit mit Schiffen angelandet worden waren. Die Steine für das Mauerwerk waren teils zu Lande, teils übers Wasser angeliefert worden.
«Das Geld der Nidecks stammte ursprünglich aus Europa», sagte Marchent. «Aber hier haben sie es beträchtlich vermehrt.»
Onkel Felix hatte den größten Teil davon geerbt, aber Marchents Vater, Abel, gehörten die Läden im Dorf, als Marchent noch ein Kind war. Die meisten Grundstücke an der Küste waren schon verkauft worden, bevor sie aufs College kam, aber nur wenige der neuen Eigentümer hatten dort gebaut.
«All das geschah, als Felix auf einer seiner ausgedehnten Reisen war. Mein Vater verkaufte die Läden und die Grundstücke am Wasser, und als Felix zurückkehrte, war er furchtbar wütend. Ich weiß noch, wie sie gestritten haben, aber die Sache war nicht mehr rückgängig zu machen.» Marchent seufzte. «Ich wünschte, mein Vater hätte sich mit Felix besser verstanden. Vielleicht hätte er dann eher nach ihm gesucht. Aber das alles ist ja nun Vergangenheit.»
Immer noch waren zwanzig Hektar rund ums Haus in Familienbesitz, einschließlich des Redwoodwalds, zahlloser Eichen und des bewaldeten Hügels, der im Westen zum Strand abfiel. Irgendwo dort im Wald, sagte Marchent, müsse es ganz hoch oben in den Wipfeln noch ein altes Baumhaus geben, das Felix gezimmert hatte. «Aber da war ich noch nie», sagte sie. «Meine jüngeren Brüder sagen, dass es sehr komfortabel ist, aber eigentlich hätten sie nicht hinaufsteigen dürfen, bevor Felix offiziell für tot erklärt worden war.»
Marchent wusste nicht viel mehr über die Familie als allgemein bekannt war – eine Familie, die die Geschichte der Region geprägt hatte. «Ich glaube, das Geld kam von Öl und Diamanten. Und dann gab es da noch Grundbesitz in der Schweiz.» Marchent zuckte mit den Schultern.
Ihr treuhänderisches Vermögen war konventionell angelegt und wurde in New York verwaltet, genau wie das ihrer jüngeren Brüder.
Bei der Testamentseröffnung hatte sich herausgestellt, dass große Summen bei der Bank of America und der Wells Fargo Bank lagen, und es war sehr viel mehr, als Marchent erwartet hatte.
«Dann müssten Sie das Haus eigentlich nicht verkaufen», sagte Reuben.
«Doch. Ich will frei sein», sagte sie und schloss kurz die Augen. Dann ballte sie eine Hand zur Faust und klopfte sich auf die Brust. «Ich muss wissen, dass es vorbei ist, verstehen Sie? Und dann sind da ja auch noch meine Brüder.» Mit verändertem Gesichtsausdruck und veränderter Stimme fuhr sie fort: «Sie sind ausbezahlt worden, damit sie das Testament nicht anfechten.» Dann zuckte sie wieder mit den Schultern und sagte traurig: «Trotzdem bestehen sie auf ‹ihren Anteil›.»
Reuben nickte, obwohl er es nicht wirklich
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