Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
verstand.
    Ich werde versuchen, dieses Haus zu kaufen.
    Inzwischen war er davon fast schon überzeugt, egal wie hoch die Renovierungs-, Heiz- und Reparaturkosten sein würden. Es gab Dinge, zu denen man einfach nicht Nein sagen konnte.
    Doch damit wollte er jetzt noch nicht herausplatzen, zumal Marchent von dem Unfall zu erzählen begann, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Sie befanden sich auf dem Rückflug von Las Vegas. Ihr Vater war ein ausgezeichneter Pilot, und es war eine Strecke, die er schon hundertmal geflogen war.
    «Vielleicht ging alles so schnell, dass sie es gar nicht richtig mitbekommen haben», sagte Marchent. «Es war so neblig, dass sie den Strommast nicht sehen konnten.»
    Damals war Marchent achtundzwanzig gewesen. Felix war bereits seit zehn Jahren verschwunden, und so hatte man sie zum Vormund ihrer jüngeren Brüder erklärt. «Ich fürchte, ich habe es gründlich vermasselt», sagte sie. «Nach dem Unfall waren sie nicht mehr dieselben. Sie begannen zu trinken und Drogen zu nehmen und umgaben sich mit den fragwürdigsten Leuten. Ich wollte nach Paris zurück und habe mich nicht genug um sie gekümmert. So sind sie immer weiter abgerutscht.»
    Sie waren sechzehn und siebzehn gewesen, als der Unfall passierte, und schon immer wie Zwillinge aufgetreten. Sie machten aus allem ein Geheimnis, hatten sogar eine Geheimsprache und behandelten andere so verächtlich, dass niemand es lange mit ihnen aushielt.
    «Bis vor einigen Jahren hingen in diesem Zimmer sehr wertvolle impressionistische Gemälde», sagte Marchent. «Meine Brüder haben sie gestohlen. Als außer Felice niemand im Haus war, kamen sie her, nahmen sie von den Wänden und verhökerten sie weit unter Wert. Ich war furchtbar wütend, aber es war unmöglich, die Bilder zurückzubekommen. Später habe ich festgestellt, dass sie auch Teile des Tafelsilbers gestohlen hatten.»
    «Das muss Sie sehr getroffen haben», sagte Reuben.
    Marchent lachte. «Das kann man wohl sagen. Es ist furchtbar, dass die Sachen unwiederbringlich verschwunden sind und meine Brüder nicht einmal viel mehr davon hatten als eine Sauftour in Sausalito, die mit einer Razzia endete.»
    Felice kam leise herein. Sie wirkte erschöpft und zerbrechlich, aber sie räumte den Tisch flink und geübt ab. Marchent stand auf, um das «junge Mädchen» auszubezahlen, dann kam sie zurück.
    «War Felice schon immer hier?», fragte Reuben.
    «O ja, zusammen mit ihrem Sohn, der letztes Jahr gestorben ist. Er hat sich um alles gekümmert, und er hasste meine Brüder. Dann wurde das Gästehaus zweimal in Brand gesteckt und mehrere Autos demoliert. Ich habe Leute von außerhalb eingestellt, aber sie waren hier fehl am Platz. Momentan gibt es keinen Verwalter oder Hausmeister, nur den alten Mr. Galton, der unten an der Straße wohnt. Er ist immer für uns da, wenn wir etwas brauchen. Erwähnen Sie das ruhig in Ihrem Artikel. Mr. Galton kennt dieses Haus wie seine Westentasche, auch den Wald. Wenn ich hier weggehe, nehme ich Felice mit. Für sie gibt es hier nichts mehr zu tun.»
    Marchent hörte auf zu sprechen, als Felice den Nachtisch hereinbrachte – Kristallschalen mit Himbeeren, die in Sherry eingelegt waren.
    «Felix hat Felice aus Jamaika mitgebracht», fuhr sie dann fort. «Zusammen mit jeder Menge Kunst- und Kultgegenständen. Wenn er von seinen Reisen zurückkehrte, hatte er immer neue Schätze dabei – eine olmekische Statue, ein Gemälde aus der Kolonialzeit Brasiliens oder eine mumifizierte Katze. Warten Sie ab, bis Sie die Gemäldegalerie und die Abstellkammern oben sehen. Es gibt kistenweise Tontafeln, die …»
    «Moment mal!», sagte Reuben. «Doch nicht etwa antike Tontafeln aus Mesopotamien, mit babylonischer Keilschrift?»
    Marchent lachte. «Doch, genau die.»
    «Die müssen ja unbezahlbar sein», sagte Reuben. «Das ist eine eigene Reportage wert. Ich muss sie sehen. Sie zeigen sie mir doch, oder? Ich werde erst mal noch nichts darüber schreiben. Das würde nur vom eigentlichen Thema ablenken. In erster Linie geht es ja darum, das Haus zu verkaufen.»
    «Ja, ich zeige Ihnen alles», sagte Marchent. «Sehr gern sogar. Jetzt, da wir drüber reden, kommt es mir nicht mehr so schwierig vor.»
    «Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, die Sachen zuzuordnen und zu sortieren. Als ich in Berkeley studiert habe, war ich in den Semesterferien öfter an Ausgrabungsstätten. Meine Mutter sagte immer, wenn ihr Sohn schon kein Arzt würde, sollte er

Weitere Kostenlose Bücher