Das Geschenk der Wölfe
weniger», erwiderte sie.
«Ein guter Freund von mir in Berkeley ist an einer Überdosis gestorben. Bei der Gelegenheit habe ich meine Freundin kennengelernt, Celeste. Er war ihr Bruder. Er war jemand, der alles hatte, was man sich nur wünschen konnte. Doch dann wurde er süchtig und verreckte wie ein Hund in der Toilette einer Nachtbar, und man konnte nichts mehr für ihn tun.»
Manchmal dachte Reuben, dass es Willies Tod war, der ihn und Celeste zusammenschweißte. Zumindest war es eine Zeitlang so gewesen. Nach Berkeley hatte Celeste in Stanford Jura studiert und gleich nach dem Examen einen Job bei der Staatsanwaltschaft bekommen. Willies Tod verlieh ihrer Beziehung einen gewissen Ernst, war wie eine Begleitmusik in Moll.
«Man weiß einfach nicht, warum manche Menschen den Drogen verfallen», sagte Reuben. «Willie zum Beispiel war brillant, aber die Drogen hatten ihn voll im Griff. Auch seine Freunde haben mit Drogen experimentiert, aber sie sind wieder davon losgekommen, während er dem Zeug völlig ausgeliefert war und schließlich unterging.»
«Wie bei mir», sagte Marchent. «Zu irgendeinem Zeitpunkt habe ich auch alles genommen, was meine Brüder nahmen, aber es gab mir nichts, und so habe ich wieder aufgehört.»
«Mir geht’s genauso.»
«Natürlich sind meine Brüder furchtbar wütend, dass ich alles geerbt habe. Aber sie waren noch Kinder, als Onkel Felix seine letzte Reise antrat. Wäre er zurückgekehrt, hätte er sein Testament bestimmt noch geändert und auch ihnen etwas vermacht.»
«Hatten sie denn nichts von Ihren Eltern geerbt?»
«Doch, natürlich. Auch von unseren Groß- und Urgroßeltern. Aber sie haben alles in null Komma nichts durchgebracht, mit Partys für Hunderte von Leuten und der Unterstützung von Rockbands, die ebenfalls Junkies waren und nicht die geringsten Erfolgsaussichten hatten. Wenn sie betrunken sind, fahren sie ihre Autos zu Schrott und steigen ohne den kleinsten Kratzer aus dem Wrack. Eines Tages werden sie jemanden umbringen – oder sich selbst.»
Wenn Haus und Grundstück verkauft waren, wollte Marchent ihnen eine hübsche Summe zukommen lassen. Dazu war sie zwar nicht verpflichtet, aber sie wollte es so. Die Bank würde das Geld in Etappen auszahlen, damit es ihnen nicht so zwischen den Fingern zerrann wie das frühere Erbe. Das würde ihnen ganz und gar nicht gefallen. An das Haus hatten sie keinerlei Bindung, und wenn sie es für möglich hielten, Felix’ historische Schätze bei einem Hehler loszuwerden, hätten sie sicher keine Hemmungen, auch die noch zu stehlen.
«Der Punkt ist, dass sie keine Ahnung haben, welche Schätze dieses Haus birgt. Manchmal brechen sie hier ein und stehlen irgendwelche Gebrauchsgegenstände, die sie leicht zu Geld machen können. Aber meistens begnügen sie sich mit Erpressung. Wenn sie abends betrunken sind, rufen sie mich an und drohen mit Selbstmord. Meist endet es damit, dass ich ihnen einen Scheck schicke. Dafür nehmen sie sogar meine Appelle, meine Tränen und Ratschläge bezüglich ihres Umgangs mit Geld in Kauf. Sobald sie den Scheck erhalten, setzen sie sich dann in die Karibik ab, nach Hawaii oder Los Angeles und starten die nächste Sause. Das Letzte, was ich von ihnen gehört habe, ist, dass sie in die Pornoindustrie einsteigen wollen. Sie haben sogar schon eine Möchtegern-Schauspielerin gefunden, die sie sich für diese Zwecke warmhalten. Falls das Mädchen noch nicht volljährig ist, enden sie womöglich doch noch im Gefängnis. Vielleicht ist es unvermeidbar. Jedenfalls sagen unsere Anwälte das. Trotzdem machen wir alle gute Miene zum bösen Spiel und tun so, als kämen meine Brüder in absehbarer Zeit doch noch auf den rechten Weg.»
Marchent ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Reuben konnte nicht wissen, wie es auf sie wirkte. Er wusste nur, wie er es empfand und dass er niemals den Anblick vergessen würde, den sie in diesem Moment bot. Das Kerzenlicht machte ihre Gesichtszüge weich, ihre Wangen waren vom Wein leicht gerötet, ihre Lippen dunkelrot, und ihr Blick wirkte in sich gekehrt, als sie ins Feuer schaute.
«Ich kann einfach nicht verstehen, dass sie sich nie für die Dinge in diesem Haus oder für Felix interessiert haben. Eigentlich interessieren sie sich für gar nichts, weder für Musik noch Kunst oder Geschichte.»
«Kaum zu glauben», sagte Reuben.
«Das ist das Erfrischende an Ihnen, Reuben: Ihnen fehlt der angeblich so coole Zynismus der Jugend.»
Wieder ließ Marchent den
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