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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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kann viele Gründe haben. Vielleicht wurde woanders ein moderneres Labor errichtet. Schließlich sind die technischen Möglichkeiten eines Hauses wie diesem begrenzt. Außerdem mussten sie im Verborgenen wirken, und es kann sein, dass ihnen der Redwood-Tourismus zu viel wurde. Vielleicht sind sie aber auch mit ihren Forschungen gescheitert und haben sie aufgegeben.»
    «Das kann ich mir nicht vorstellen», sagte Laura. «Bestimmt haben sie eine Menge interessante Entdeckungen gemacht.»
    «Da bin ich mir nicht so sicher. Die Proben, die sie sich selbst oder verwandten Kreaturen entnahmen, haben sich aufgelöst, bevor sie sie analysieren konnten. Das wäre ein guter Grund, das ganze Unternehmen aufzugeben.»
    «Also ich hätte nicht so einfach aufgegeben», sagte Laura. «Ich hätte nach besseren Konservierungsstoffen und Verfahrenstechniken gesucht. Und ich hätte die Proben wenigstens so lange untersucht, wie sie irgend hielten. Nein, nein. Ich glaube, sie haben ihr Forschungszentrum verlegt. Erinnerst du dich, was Marrok über pluripotente Stammzellen gesagt hat? Das ist ein aktueller wissenschaftlicher Begriff, den die wenigsten Menschen kennen.»
    «Falls du recht hast, ist Felix an seinen persönlichen Aufzeichnungen interessiert, den Tagebüchern und Tontafeln – was immer sie zu bedeuten haben.»
    «Was weißt du darüber?», fragte Laura. «Worum genau handelt es sich dabei?» Sie ging auf das halb zurückgeschlagene Tischtuch zu, aber sie wagte nicht, die kleinen getrockneten Tonfragmente zu berühren, die so zerbrechlich wie trockener Kuchenteig wirkten.
    Auch Reuben wollte sie nicht berühren und wünschte, er hätte eine Lichtquelle, mit der er sie besser sehen könnte. Er fragte sich, ob Marrok sie in einer bestimmten Reihenfolge ausgelegt hatte, und wenn ja, ob sie in Felix’ Regalen in derselben Reihenfolge arrangiert waren. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er sie ursprünglich vorgefunden hatte.
    «Sie sind in Keilschrift geschrieben», sagte er, «und gehören zu den ältesten Schriftstücken der Menschheit überhaupt. In der Bibliothek kann ich dir Bücher darüber zeigen, oder wir gehen ins Internet. Diese hier stammen wahrscheinlich aus dem Irak, aus den ältesten Städten der Erde, die bislang gefunden wurden.»
    «Ich wusste gar nicht, dass sie so winzig sind», sagte Laura. «Ich hatte sie mir immer ungefähr so groß wie Buchseiten vorgestellt.»
    «Lass uns gehen», sagte Reuben plötzlich. «Hier oben ist es stickig und trostlos.»
    Laura nickte und sagte: «Fürs Erste haben wir genug gefunden. Ich wüsste nur gern, ob Marrok der Einzige war, der in letzter Zeit hier oben war.»
    «Da bin ich mir ziemlich sicher», sagte Reuben und führte Laura nach unten.
    In der dunklen Bibliothek fachten sie das Feuer wieder an. Laura setzte sich dicht davor und rieb sich warm. Reuben hingegen setzte sich ein Stück entfernt an den Schreibtisch, weil ihm viel zu warm war.
    Sonst fühlte er sich in Wolfsgestalt wohl und saß genauso bequem und entspannt da wie sonst in Menschengestalt. Aber er konnte das Vogelzwitschern in den Eichen hören, das Rascheln und Schnauben der Waldtiere. Dieses Mal verspürte er aber keinen Drang, ihnen nahe zu sein, ihr wildes Leben zu teilen oder sich pulsierendes, frisches Fleisch einzuverleiben.
    Sie redeten nicht viel, waren sich aber einig, dass Reuben gefunden hatte, was Felix haben wollte. Offenbar wusste Felix, dass es noch hier im Haus war, aber als wahrer Gentleman wollte er nicht einfach herkommen und die Sachen heimlich an sich bringen.
    «Dann bedeutet dieses Treffen, dass seine Absichten ehrenwert sind», sagte Laura. «Wenn er hier einbrechen wollte, hätte er es längst tun können. Auch hätte er uns längst töten können.»
    «Es sei denn, er fürchtet, dass wir mit ihm das Gleiche machen wie mit Marrok», sagte Reuben.
    «Warum sollte er?», fragte Laura. «Aber nimm morgen auf jeden Fall Marroks Brief mit und versuch, ihm die Sache zu erklären.»
    Reuben nickte. Auch die Uhr würde er mitnehmen. Aber auf keinen Fall wollte er sich vor dem Treffen zurechtlegen, was er sagen würde.
    Alles hing von Felix ab. Was er sagen und tun würde.
    Je länger Reuben darüber nachdachte, desto ungeduldiger blickte er dem Treffen entgegen. All seine Hoffnungen ruhten darauf, und es war eine ungeheure Erleichterung, dass er Felix endlich kennenlernen würde.
    Ein inneres Verlangen erwachte in ihm, aber nicht nach der Wildnis da draußen, sondern nach einem

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