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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wilden Erlebnis in diesem Zimmer.
    Er ging zu Laura hinüber, küsste ihr Haar, ihren Hals, ihre Schultern. Dann umarmte er sie und spürte, wie ihr Körper mit seinem verschmolz.
    «Dann ist es also wieder der Wilde aus dem Wald, der mich liebt», sagte Laura und lächelte, ohne den Blick vom Feuer abzuwenden.
    Reuben küsste ihre Wangen und die Fältchen, die sich beim Lächeln bildeten.
    «Werde ich denn niemals den jungenhaften Reuben Golding lieben, den Sonnyboy, das Baby, den Kleinen, den talentierten Wunderknaben?»
    «Was willst du denn von dem, wenn du mich haben kannst?», murmelte Reuben, während er sie immer drängender küsste.
    Statt einer Antwort öffnete Laura den Mund, um seine Küsse zu empfangen und zu erwidern.
    Als sie sich geliebt hatten, trug er sie nach oben, wie er es so gerne tat, und legte sie aufs Bett.
    Dann ging er ans Fenster und sah hinaus, weil Laura sein Gesicht nicht sehen sollte, während er leise mit der Macht sprach, die ihn beherrschte und die er zu beherrschen begann. Er öffnete den Mund und sog die Luft ein, als tränke er Wasser aus einem Bergbach. Die Verwandlung begann fast augenblicklich.
    Es war, als streichelten ihn tausend Finger und pflückten ihm behutsam jedes Haar seines Fells einzeln von Kopf, Gesicht, Armen, Rücken und Beinen.
    Er hob die Pfoten und beobachtete im fahlen Nachtlicht, wie sie wieder zu Händen wurden. Die Klauen zogen sich zurück und verschwanden schließlich ganz, und seine menschliche Haut kehrte zurück.
    Er krümmte und streckte Finger und Zehen. Die Nacht wurde dunkel, und das Lied des Waldes verstummte.
    Es war ungeheuer befriedigend zu erleben, dass er sich verwandeln konnte, wann und wie er wollte. Die Macht oder was immer dahintersteckte, gehorchte ihm.
    Wie lange würde das so sein? Konnte er diese Fähigkeit unter bestimmten Bedingungen wieder verlieren? Würde er auch darüber verfügen, wenn er einmal in Gefahr war? So viele Fragen!
    Morgen würde er einen Mann treffen, der die Antworten kannte. Doch wie würde dieses Treffen verlaufen? Was wollte dieser Mann wirklich von ihm?
    Und noch wichtiger: Was war er bereit zu geben?

[zur Inhaltsübersicht]
    28
    D as Büro Simon Olivers in der California Street lag im fünften Stock und bot einen atemberaubenden Blick auf die umliegenden Bürotürme und die blaue Weite der San Francisco Bay.
    Reuben trug einen weißen Rollkragenpullover und seinen doppelreihigen Lieblingsblazer, als er in den Konferenzsaal gebeten wurde, in dem das Treffen stattfinden sollte.
    Die Einrichtung – ein großer ovaler Mahagonitisch und solide Chippendalestühle – war typisch für diese Kanzlei. Zusammen mit Simon saß er an einer Längsseite des Tischs, gegenüber einem großen abstrakten Gemälde, das ebenso bunt wie nichtssagend war und lediglich dekorativen Zwecken diente.
    Laura saß mit Kaffee und Morgenzeitung in einem wesentlich gemütlicheren Nebenraum und hatte die Fernsehnachrichten eingeschaltet.
    Immer wieder äußerte Simon dieselben Warnungen und Befürchtungen: Dieser unvermutet aufgetauchte Nachfahre Felix Nidecks könne doch noch einem DNA -Test zustimmen, um seinen Erbanspruch zu untermauern und dann womöglich außer persönlichen Hinterlassenschaften auch Haus und Grundstück beanspruchen, Reuben solle sich um Gottes willen nicht zu konkreten Aussagen oder gar Zugeständnissen hinreißen lassen.
    Reuben beruhigte ihn, und zum ersten Mal sagte Simon etwas Persönliches.
    «Ich gebe zu», sagte er schmunzelnd, «dass ich nie viel von Männern mit langen Haaren gehalten habe. Aber Ihnen steht diese Mähne eigentlich recht gut, Reuben. Ist das die neueste Mode? Nach dem Motto ‹Zurück zur Natur›? Bestimmt sind die jungen Frauen heutzutage ganz verrückt danach.»
    Reuben lachte. «Da bin ich mir nicht so sicher. Ich war einfach länger nicht beim Friseur.» Sein Haar war frisch gewaschen und ordentlich gekämmt, sodass seiner Meinung nach niemand daran Anstoß nehmen konnte. Außerdem war es ihm nicht so wichtig. Wichtig war nur, dass dieses Treffen endlich begann.
    Es kam ihm so vor, als habe er eine Ewigkeit dagesessen und den paranoiden Befürchtungen Simons gelauscht, als Arthur Hammermill hereinkam und sagte, Nideck sei jetzt da und nur noch kurz ins Bad gegangen, er werde gleich kommen.
    Hammermill war in etwa so alt wie Simon, nämlich Mitte siebzig. Beide hatten weißes Haar und trugen graue Anzüge. Hammermill war ein wenig untersetzt und hatte buschige Augenbrauen, während

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