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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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er das Erdgeschoss erreicht hatte.
    Die Treppe endete an einer Tür, die nach innen aufging und in ein Zimmer führte, das er augenblicklich am Geruch von frischer Wäsche, Silberpolitur und Kerzen erkannte. Es war eine Abstellkammer, die in einer überwölbten Nische zwischen Esszimmer und Diele lag.
    Laura kam ihm aus der Küche durch das ehemalige Dienstzimmer des Butlers und das dunkle Esszimmer entgegen, trat durch die Tür und sagte erstaunt: «Also, da ist der Geheimgang!»
    «Wir brauchen eine Taschenlampe», sagte Reuben. «Es ist so dunkel, dass selbst ich kaum etwas sehen kann.»
    Laura wollte schon zurückgehen, um die Taschenlampe zu holen, als sie am Eingang des Geheimgangs stehen blieb. «Schau, hier ist ein Lichtschalter.» Sie betätigte ihn, und eine kleine Glühbirne am Kopf der Treppe ging an.
    Reuben staunte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Geheimgang so gut ausgestattet sein würde, und fragte sich, wann hier wohl zuletzt jemand gewesen war, um dafür zu sorgen, dass die Glühbirne funktionierte.
    Zusammen mit Laura ging er wieder hinauf.
    Im Lichtkegel der Taschenlampe sahen sie den Durchgang zu einem riesigen Saal, der vor Büchern schier überquoll. Sie waren verstaubt und von Spinnweben überzogen, aber obwohl sie den Raum dominierten, handelte es sich nicht um eine gewöhnliche Bibliothek.
    In der Mitte des Raums standen mehrere Tische. Auf den meisten standen Geräte wie Messbecher, Bunsenbrenner, Reagenzgläser, Schachteln, Glasplatten, Flaschen und Krüge. Auf einem langen, schmalen Tisch lag ein angegrautes, zerschlissenes Tischtuch. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt.
    Reuben drückte auf einen Lichtschalter am Eingang der Kammer, und eine Reihe von Glühbirnen leuchtete auf, die an der Westseite von den Eisenträgern herabhingen, die das Glasdach trugen. Früher waren noch mehr Glühbirnen daran befestigt gewesen, aber jetzt waren die meisten Fassungen leer.
    Alles war so staubig, dass Laura husten musste. Nicht nur die Geräte auf den Tischen waren von einem grauen Staubfilm überzogen, sondern einfach alles, auch Zettel und Notizen, die überall herumlagen, Bleistifte und Füllfederhalter.
    «Sogar Mikroskope», sagte Reuben. «Aber sie sind so alt, dass es praktisch Antiquitäten sind.» Er ging zwischen den Tischen umher. «Alles ist alt. Geräte wie diese werden seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt.»
    Laura zeigte auf den hinteren Teil des Raums, der weitgehend im Dunkeln lag. Undeutlich waren dort eine Reihe rechteckiger Käfige zu sehen. Auch sie waren so alt, dass sie schon Rost angesetzt hatten. Sie erinnerten an altertümliche Affenkäfige in Zoos. Bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass die ganze Ostseite des Raums mit größeren und kleineren Käfigen vollstand.
    Reuben wurde ganz übel, als er die Käfige sah. Wer war einst darin eingesperrt? Morphenkinder? Wilde Tiere? Langsam bewegte er sich auf sie zu und öffnete eine große Käfigtür, die in den Angeln quietschte. Von der Käfigdecke hingen verrostete Eisenketten mit ebenso verrosteten Schlössern herunter. Wenn hier ein Morphenkind eingesperrt war, hätten die Ketten es bestimmt nicht gehalten. Oder doch?
    «Das alles hier muss um die hundert Jahre alt sein», sagte er.
    «Das ist aber auch schon das einzig Gute daran», sagte Laura.
    «Warum hat man wohl aufgehört zu tun, was immer man hier getan hat?», fragte Reuben. «Warum gibt jemand ein so aufwendig eingerichtetes Labor auf?»
    Sein Blick glitt über die Bücherregale an der Nordwand.
    Dann ging er darauf zu. «Medizinische Jahrbücher», sagte er. «Alle aus dem neunzehnten Jahrhundert. Hier sind noch welche aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert – 1910 , 1915 , dann nichts mehr.»
    «Trotzdem muss in letzter Zeit jemand hier gewesen sein. Vom Eingang führen Fußspuren hier herein und verteilen sich dann durch den ganzen Raum.»
    Reuben sah genauer hin. «Alle stammen von derselben Person. Sie sind ziemlich klein … kleine, weiche Schuhe ohne Absatz, so etwas wie Mokassins. Es war Marrok.» Er sah sich weiter um.
    «Er war bei dem Schreibtisch da drüben.» Er zeigte in die nordwestliche Ecke. «Sieh dir den Stuhl an. Jemand hat ihn abgestaubt. Und die Bücher auf dem Schreibtisch sind auch nicht staubig.»
    «Sie sind ohnehin neueren Datums», sagte Laura.
    Reuben sah sie sich genauer an. Es waren Krimiklassiker – Raymond Chandler, Dashiell Hammett, James M. Cain.
    «Wahrscheinlich hat er sich hier öfter mal

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