Das Geschenk der Wölfe
Simon ausgesprochen schlank war und eine Halbglatze hatte.
Hammermill begrüßte Reuben mit einem herzlichen Händedruck.
«Sehr freundlich von Ihnen, diesem Treffen zuzustimmen», sagte er, sichtlich um einen positiven Grundton bemüht, und nahm gegenüber Simon Platz, sodass der Stuhl gegenüber Reuben für den fragwürdigen Nideck-Nachfahren frei blieb.
Reuben fragte, wie ihnen der
Don Giovanni
gefallen habe, eine Oper, die er sehr schätzte, und erwähnte die Verfilmung von Joseph Losey, die er sich schon oft angesehen hatte. Hammermill kam sofort ins Schwärmen und sagte, er habe Nidecks Gesellschaft sehr genossen. Es sei schade, dass er schon so bald nach Europa zurückkehren müsse, genauer gesagt bereits heute Abend. Dabei sah er Simon herausfordernd an, der aber keine Miene verzog.
Schließlich ging die Tür auf, und Felix Nideck kam herein.
Hätte Reuben noch daran gezweifelt, ob dieser Mann Marchents Onkel und nicht ein unehelicher Nachfahre Felix Nidecks war, so hätten sich diese Zweifel augenblicklich zerstreut.
Es war der beeindruckende Mann von dem Foto in der Bibliothek, der irgendwo im Kreis seiner engsten Freunde im Dschungel gelöst in die Kamera lächelte und auch auf dem Foto über Marchents Schreibtisch überaus sympathisch wirkte.
Felix Nideck in Person – und augenscheinlich keinen Tag älter als vor zwanzig Jahren! Selbst bei großer Familienähnlichkeit glichen Söhne ihren Vätern nicht so vollkommen. Er strahlte ebenso viel natürliche Autorität wie Lebensfreude aus.
Reuben war völlig perplex. Ohne die Lippen zu bewegen, sprach er ein kurzes Gebet.
Nideck war groß und gut gebaut, hatte einen sonnigen Teint und dichtes, kurzgeschnittenes braunes Haar. Sein maßgeschneiderter brauner Anzug war exquisit, dazu trug er ein karamellfarbenes Hemd und eine goldbraune Krawatte.
Was Reuben jedoch am meisten beeindruckte, war seine Aura von Güte und Gelassenheit. Sein Lächeln hatte nichts Gekünsteltes, und sein Blick war herzlich, als er Reuben die Hand reichte.
Alles an ihm wirkte ansprechend und freundlich.
Wie erwartet nahm er gegenüber Reuben Platz, und da sie gleich groß waren, konnten sie einander geradewegs in die Augen sehen. Er beugte sich vor und sagte mit tiefer, klarer Stimme: «Es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich weiß, dass Sie dazu nicht verpflichtet sind, umso mehr weiß ich es zu schätzen.» Während er sprach, gestikulierte er lebhaft, aber nicht übertrieben mit den Händen. Auf seiner goldenen Krawattennadel saß ein grüner Edelstein, und in seiner Brusttasche steckte ein seidenes Tuch, das farblich mit der Krawatte harmonierte.
Reuben war von seiner Erscheinung so fasziniert, dass er beinahe vergaß, wachsam zu bleiben. Er war ohnehin so aufgeregt, dass ihm das Herz bis zum Hals klopfte. Wenn er nun keinen guten Eindruck auf diesen Mann machte … Daran wollte er lieber gar nicht erst denken. Er musste diese Gelegenheit einfach nutzen und durfte keine Minute vergeuden.
In heiterem Plauderton sprach Nideck weiter und lehnte sich bequem zurück. Er bewegte sich sehr geschmeidig, während er sprach, und wirkte vollkommen entspannt.
«Ich weiß, dass meine Cousine Marchent Sie sehr gernhatte, und Sie wissen ja, wie sehr mein Vater sie geliebt hat. Überdies war sie seine Alleinerbin.»
«Aber Sie haben Marchent nicht persönlich gekannt, nicht wahr?», sagte Reuben mit brüchiger Stimme. Warum hatte er das getan? Was sollte das? So hatte er das Gespräch nicht beginnen wollen.
«Ich meine, Sie sind ihr nie begegnet, oder?»
«Mein Vater hat sie mir sehr nahegebracht», sagte Nideck, ohne in Verlegenheit zu geraten. «Die Anwälte haben Ihnen sicher erklärt, dass ich keinerlei Ansprüche auf das Haus und das Grundstück erhebe, das sie Ihnen vermacht hat.»
«Das haben sie», sagte Reuben. «Und ich weiß es zu schätzen. Im Übrigen bin ich gern gekommen, um mit Ihnen zu besprechen, an welchem Teil des Nachlasses Sie interessiert sind.»
Nidecks Lächeln brachte ihn beinahe aus dem Konzept. Sein Blick ließ darauf schließen, dass Reuben ihm gefiel. Trotzdem war Reuben entschlossen, auf der Hut zu bleiben.
Aber wie sollte er anfangen?
«Leider kannte ich Marchent nur kurz», sagte er. «Aber ich glaube, ich kannte sie gut. Sie war ein ganz besonderer Mensch.» Reuben musste schlucken. «Dass ich sie nicht beschützen konnte, ist …»
«Schon gut, Reuben», sagte Simon.
«Dass ich sie nicht
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