Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
einsetzten. Er legte die Hand auf den Bauch, der ganz heiß wurde. «Noch nicht!», flüsterte er. «Noch nicht!» Das Prickeln kroch seine Arme hinauf, bis zum Nacken. «Noch nicht!»
    Die Sonne ging unter. Schon in wenigen Minuten würde es an so einem trüben Tag wie heute vollkommen dunkel sein.
    Inzwischen mussten an die fünfzehn Menschen da draußen sein, aber immer noch hörte er Wagen ankommen. Einer fuhr direkt vor die Haustür.
    Natürlich konnte auch er sich in die Geheimkammer flüchten, aber was, wenn Galton sie kannte? Selbst wenn niemand sie kannte oder finden würde – wie lange konnten sie zu dritt dort ausharren?
    Vor der Tür stritt Dr. Cutler mit den Russen. Sie werde ihnen Stuart nicht ausliefern und auch nicht zulassen, dass sie ihn irgendwo einwiesen. Es sei ja nicht einmal sicher, dass Stuart überhaupt hier war. Die russische Ärztin sagte, doch, das wisse sie genau, sie habe einen Tipp bekommen.
    Plötzlich hörte Reuben seine Mutter, die sich in das Streitgespräch einmischte. Auch das Grummeln Simon Olivers war zu hören.
    «Sie brauchen einen richterlichen Haftbefehl, um meinen Sohn gegen seinen Willen wohin auch immer zu schaffen», sagte Grace. «Mein Anwalt hier reicht Klage gegen Sie ein, wenn Sie es auch nur versuchen!»
    Noch nie war Reuben so froh gewesen, ihre Stimme zu hören. Auch Phil und Jim konnte er jetzt hören. Sie unterhielten sich leise miteinander und schätzten die Anzahl der anwesenden Polizisten auf zwanzig. Sie überlegten, was zu tun war.
    Dann erschrak Reuben von einem Geräusch, das aus dem Haus kam.
    Die Krämpfe wurden stärker. Er spürte schon, wie seine Poren sich öffneten und die ersten Haarzellen aktiv wurden. Mit äußerster Willensanstrengung wehrte er sich dagegen.
    Das Geräusch kam aus dem Hausflur. Jemand schien die Kellertreppe heraufzukommen. Dann knarrte die Kellertür.
    Eine imposante Gestalt schälte sich aus dem Dunkeln, dann eine zweite zu ihrer Linken. Im schwindenden Gegenlicht aus dem Wintergarten konnte Reuben die Gesichter nicht erkennen.
    «Wie sind Sie in mein Haus gelangt?», fragte er und ging wütend auf die beiden zu. Der Magen drehte sich ihm um, und seine Haut brannte. «Wenn Sie keine richterliche Anordnung haben, verschwinden Sie! Auf der Stelle!»
    «Ganz ruhig, kleiner Wolf!», kam die sanfte Stimme von einem der beiden.
    Der andere schaltete das Licht im Hausflur an.
    Es war Felix, der Mann an seiner Seite Margon Sperver. Margon war derjenige, der gesprochen hatte.
    Beinahe hätte Reuben vor Schreck laut aufgeschrien.
    Beide Männer trugen dicke Tweedjacken und Stiefel. Sie rochen nach Regen und Erde. Der Wind hatte ihr Haar zerzaust, und ihre Haut war vor Kälte gerötet.
    Reuben war so erleichtert, dass er weiche Knie bekam.
    Felix kam auf ihn zu.
    «Lassen Sie die Leute herein», sagte er.
    «Das geht nicht!», protestierte Reuben. «Sie wissen ja nicht, dass es da einen Jungen gibt, er heißt Stuart …»
    «Ich weiß», sagte Felix. «Ich weiß alles.» Lächelnd legte er Reuben eine Hand auf die Schulter. «Ich gehe jetzt nach oben und hole Stuart hier herunter. Machen Sie inzwischen Feuer in den Kaminen und schalteten Sie die Lampen an. Sobald Stuart bereit ist, den Leuten gegenüberzutreten, lassen Sie sie rein.»
    Margon hatte schon angefangen, eine Lampe nach der anderen anzuschalten, und es war, als kehrte Leben in das Haus zurück.
    Auch Reuben machte sich sofort an die Arbeit. Die Krämpfe ließen nach. Seine Gegenwehr war so anstrengend gewesen, dass er schwitzte.
    Schnell machte er in der Diele Feuer.
    Margon bewegte sich durchs Haus, als würde er sich auskennen. Er half Reuben, und bald waren die Kamine in der Bibliothek, im Esszimmer und im Wintergarten angezündet.
    Margons Haar war so lang wie auf dem Foto, aber er hatte es mit einem Lederband zurückgebunden. Lederflicken saßen auch auf den Ellenbogen seines Jacketts. Seine Stiefel schienen uralt zu sein, hatten Risse und Schrammen. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er sich jahrelang bei Wind und Wetter im Freien aufgehalten hatte, aber es strahlte eine verblüffende jugendliche Frische aus. Er schien höchstens vierzig zu sein.
    Als er im Wintergarten Licht gemacht hatte, kam er auf Reuben zu und sah ihm in die Augen. Sein Blick erinnerte ihn an den von Felix bei ihrer ersten Begegnung. Und genau wie Felix schien auch Margon ein gütiger, freundlicher Mann zu sein.
    «Wir haben schon lange darauf gewartet», sagte er warmherzig. «Ich wünschte,

Weitere Kostenlose Bücher