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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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den Wäldern lebte, das wusste, was mit ihm geschehen war. Er war sich nicht darüber im Klaren, ob er darauf hoffen sollte, aber immerhin hielt er es für möglich. Und wenn es dieses Wesen gab, wollte er es auf sich aufmerksam machen. Dieses Wesen sollte sehen, wie er sich durch die Zimmer von Kap Nideck bewegte.
    Grace war bei der Arbeit im Krankenhaus, als er sich aus dem Haus geschlichen hatte, und Phil war nirgends zu sehen gewesen. Er hatte kurz mit Celeste gesprochen und wie benommen zugehört, als sie von den entsetzlichen Vorkommnissen der letzten Nacht gesprochen hatte.
    «Und dann hat dieses Vieh die arme Frau einfach aus dem Fenster geworfen, Reuben! Direkt aufs Straßenpflaster! Diese Stadt ist wirklich verrückt. Im Golden Gate Park hat es zwei Männer getötet und den einen regelrecht ausgenommen, wie einen Fisch. Aber die Leute lieben deinen Artikel, Reuben. ‹Wolfsmensch›, das sagen jetzt alle. Du könntest dir mit Kaffeebechern und T-Shirts eine goldene Nase verdienen. Am besten lässt du dir den Begriff ‹Wolfsmensch› urheberrechtlich schützen. Aber wer soll das krause Zeug glauben, das diese Verrückte aus North Beach erzählt? Ich meine, was soll dieses Vieh noch alles können? Eine poetische Botschaft an die Wand schreiben? Mit dem Blut des Opfers natürlich.»
    «Keine schlechte Idee», hatte Reuben gemurmelt.
    Als er vor der Unterführung am Waldo Grade in einen Stau geriet, rief er Billie an.
    «Schon wieder ein Volltreffer, du Wunderkind», sagte sie. «Ich weiß nicht, wie du das immer wieder schaffst. Dein Artikel wird von Nachrichtenagenturen und Webseiten in aller Welt aufgegriffen. Die Leute posten den Link auf Facebook und Twitter. Du hast diesem Monster, diesem Wolfsmenschen, eine metaphysische Dimension gegeben.»
    Ach ja? Hatte er nicht einfach nur wiedergegeben, was Susan Larson gesagt hatte? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Immerhin schien sich der Begriff «Wolfsmensch» durchgesetzt zu haben, und das war ein kleiner Sieg.
    Aber Billies Hauptinteresse galt den jüngsten Ereignissen. Sie wollte, dass Reuben mit Augenzeugen sprach, die etwas von dem fürchterlichen Geschehen im Golden Gate Park und am Buena Vista Hill mitbekommen hatten.
    Reuben sagte ihr, er sei auf dem Weg nach Norden, um sich noch einmal den Ort anzusehen, an dem er beinahe getötet worden war.
    «Ach, erzähl mir nichts!», sagte Billie. «In Wirklichkeit suchst du den Wolfsmenschen. Aber wenn du schon mal da bist, mach bitte ein Foto von dem Hausflur, in dem es passiert ist. Bis jetzt gibt es keine Fotos, die das Haus von innen zeigen. Hast du deine Nikon dabei?»
    «Was gibt’s Neues von der Entführung?», fragte Reuben dagegen.
    «Die Entführer wollen nicht zusichern, dass die Kinder lebend zurückkehren. Wir haben also eine Pattsituation. Das FBI will nicht, dass das Lösegeld bezahlt wird, bevor die Entführer konkrete Zusagen machen. Natürlich sagen sie uns nicht alles, aber mein Kontaktmann im Büro des Sheriffs sagt, dass sie es mit knallharten Profis zu tun haben. Es sieht also nicht gut aus. Wenn der Wolfsmensch von San Francisco eine Art Superheld ist und für Gerechtigkeit auf der Welt sorgen will, warum, zum Teufel, macht er sich nicht auf die Suche nach den Kindern?»
    Reuben musste schlucken. «Gute Frage», murmelte er.
    Vielleicht ist dieser Wolfsmensch noch dabei, seine Identität zu finden, Billie! Noch hat er seine Fähigkeiten nicht voll entfaltet, aber er wird jede Nacht stärker.
Das sagte er allerdings nicht.
    Plötzlich wurde ihm ganz übel. Er musste an die Leichen der beiden Männer im Golden Gate Park und die Tote auf dem Straßenpflaster denken. Vielleicht sollte Billie mal ins Leichenschauhaus gehen und sich die geschundenen Körper ansehen, die der «Superheld» auf dem Gewissen hatte. Was er anrichtete, waren keine Kavaliersdelikte.
    Er überwand die Übelkeit, als er merkte, dass er für keins seiner Opfer Mitleid empfinden konnte. Dennoch war ihm schmerzlich bewusst, dass er kein Recht hatte, diese Menschen zu töten. Doch dann dachte er: Na und?
    Der Stau löste sich auf, und der Regen wurde wieder stärker. Der Verkehrslärm ließ die Stimmen in seinem Kopf in den Hintergrund treten, aber er konnte sie noch hören; sie blubberten vor sich hin wie ein kochender Brei.
    Er zappte durch Radiosender, auf denen Nachrichten oder Gesprächsrunden liefen, und drehte die Lautstärke auf, um alle anderen Geräusche zu übertönen.
    Die beherrschenden Themen waren die

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