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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Celeste anrief.
    «Hast du keine Angst, so ganz allein da oben?»
    «Angst, wovor?», fragte er zurück. «Die Männer, die mich angegriffen haben, sind tot.»
    «Ich weiß nicht. Irgendwie ist mir nicht wohl bei dem Gedanken, dass du in dem Haus bist, nach allem, was passiert ist. Und dann ist heute ein kleines Mädchen tot aufgefunden worden.»
    «Davon habe ich unterwegs gehört.»
    «Die Journalisten vor Ort werden wohl das Büro des Sheriffs belagern.»
    «Darauf kannst du Gift nehmen. Aber ich werde da jetzt nicht hinfahren.»
    «Dann lässt du dir die fetteste Geschichte deiner Karriere durch die Lappen gehen, Reuben.»
    «Meine Karriere ist gerade mal ein halbes Jahr alt, Celeste. Ich habe noch jede Menge Zeit.»
    «Ach, Reuben! Du hast immer noch nicht gelernt, Prioritäten zu setzen», sagte Celeste erstaunlich gelassen. Wahrscheinlich stimmte die große Entfernung sie milde. «Keiner, der dich kennt, hätte je erwartet, dass du so interessante Artikel schreiben würdest, aber jetzt solltest du genau das tun. Als du den Job damals annahmst, fragte ich mich, wie lange das wohl gutgehen würde. Aber jetzt bist du derjenige, der dem Wolfsmenschen einen Namen gegeben hat, und alle anderen, die über ihn sprechen oder berichten, beziehen sich auf deine Beschreibung …»
    «Die Beschreibung der Zeugin, Celeste!» Reuben fragte sich, warum er überhaupt etwas sagte.
    «Hör mal, ich bin hier bei Mort. Er will dir hallo sagen.»
    Ach, wie nett!
    «Wie geht’s, altes Haus?», fragte Mort.
    «Danke, gut», sagte Reuben.
    Auch Mort sprach über Reubens Wolfsmenschen-Artikel und sagte: «Gut gemacht! Schreibst du jetzt was über das Haus, in dem du bist?»
    «Ich möchte nicht noch mehr Aufmerksamkeit darauf lenken», sagte Reuben. «Es hat doch keinen Sinn, die Leute ständig daran zu erinnern.»
    «Verstehe. Wahrscheinlich ist es sowieso eine dieser Geschichten, denen der Sprit ausgeht, bevor sie richtig Fahrt aufgenommen haben.»
    «Meinst du?»
    Mort wechselte das Thema und sagte, dass er mit Celeste ins Kino gehen wolle, in Berkeley, und wie schön es wäre, wenn Reuben mitkäme.
    Hmmm.
    Reuben sagte, in ein paar Tagen könne er es vielleicht einrichten. Dann beendeten sie das Gespräch.
    So war das also. Celeste war mit Mort zusammen und amüsierte sich so gut, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Deswegen hatte sie angerufen. Aber warum ging sie mit Mort ins Kino, wenn die ganze Stadt die Kidnapper oder den Wolfsmenschen suchte?
    Und seit wann trieb sich Celeste überhaupt in den Künstlerkreisen von Berkeley herum? Vielleicht war sie ja gerade dabei, sich in Mort zu verlieben. Reuben konnte es ihr nicht einmal übelnehmen. Die Wahrheit war: Es war ihm vollkommen gleichgültig.
    Nachdem er Teller und Gabel in eine der drei Spülmaschinen geräumt hatte, die er unter der Arbeitsplatte entdeckte, machte er sich daran, das Haus systematisch zu erkunden.
    Er begann im Erdgeschoss und schaute in die Einbauschränke, Abstell- und Speisekammern, die überall zu finden waren. Alles war so, wie er es in Erinnerung hatte. Nur der vernachlässigte Wintergarten war ausgeräumt worden. Die abgestorbenen Pflanzen waren beseitigt und der schwarze Granitfußboden gewischt worden. Sogar den alten griechischen Springbrunnen hatte jemand abgeschrubbt und einen Zettel mit Tesafilm darangeklebt: «Pumpe reparieren!»
    Unter der Treppe, die nach oben führte, fand er den Eingang zur Kellertreppe. Der Keller selbst war klein, nicht viel mehr als eine Betonkammer von sechs mal sechs Metern. An den Wänden standen nachgedunkelte Holzschränke, die bis zur Decke reichten und nichts als stockfleckige, löchrige Bettwäsche, Tischdecken und Handtücher zu enthalten schienen. An einer Wand befand sich ein staubiger, seit langem unbenutzter Ofen. Ganz offensichtlich war es einer von mehreren, die aber schon vor längerer Zeit stillgelegt worden waren. Auch die Rohre hatte man entfernt, und wo sie in die Decke führten, hatte man die Löcher abgedichtet. In einer Ecke standen ein kaputter Stuhl von der Art, wie sie oben im Esszimmer standen, eine alte Trockenhaube und ein leerer Überseekoffer.
    Reuben wusste, dass er sich nicht noch länger davor drücken sollte, die Bibliothek und das Foto mit den vornehmen Gentlemen im Dschungel in Augenschein zu nehmen. Also ging er wieder nach oben.
    Er betrat die Bibliothek wie ein Heiligtum.
    Als er den Kronleuchter angeschaltet hatte, beugte er sich vor und las die Namen unter dem Foto.
    Margon

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