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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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dennoch beschloss er, sich während der Mittagshitze hinzulegen und erst aufzustehen, wenn Re schon wieder tief am Himmel stand.
    Er ging zurück in sein Schlafgemach und kleidete sich an.
    Satra sagte keinen Ton und starrte die ganze Zeit zu Boden.
    Amunhotep überlegte kurz, ob er den Vorfall im Park des Tempelbezirks ansprechen sollte, ließ es dann aber bleiben.
    Nach dem morgendlichen Ritual traf er sich mit Netnebu und besprach anschließend mit den Vorstehern der Handwerksgilden alle anstehenden Probleme. Der Vorsteher der Steinmetze war erfreut, dass seine Männer ihre Arbeit bald wieder aufnehmen konnten, und der der Zimmermänner, dass ihm sein Kollege nun nicht mehr mit seinen Klagen in den Ohren lag. Anschließend hetzte Amunhotep über die Baustellen, um sich selbst ein Bild über den Fortgang der Arbeiten zu machen, und ging zu guter Letzt zu Ipuwer.
    Der Schatzmeister, der in seinem Arbeitsraum saß und die eingegangenen Listen der tempeleigenen Kornspeicher kontrollierte, sah nur kurz hoch, als Amunhotep den Raum betrat, hielt es aber nicht für erforderlich, vor dem Oberpriester aufzustehen und sich zu verneigen.
    »Es sieht in diesem Jahr gut aus«, begrüßte er ihn stattdessen. »Die Speicher laufen über. Niemand wird in den kommenden zwölf Monaten hungern müssen.«
    »Das freut mich zu hören«, entgegnete Amunhotep und räusperte sich. »Ich konnte gestern nicht kommen, aber heute Abend stehe ich dir gerne zur Verfügung.«
    »Das habe ich bemerkt.« Ipuwer sah von seinen Unterlagen hoch. »Aber das macht nichts. Auch heute Abend werde ich dir zeigen können, was es Interessantes zu sehen gibt.« Er widmete sich wieder den Listen, und Amunhotep wurde ärgerlich.
    Ipuwers Verhalten ging ihm gegen den Strich. Mal tat er betont freundlich, mal zeigte er ihm ganz offen seine Geringschätzung wie gerade jetzt. Zwischen den Augenbrauen des Oberpriesters begann sich eine Zornesfalte zu bilden.
    »Ich warne dich, Ipuwer«, zischte er, »treibe es nicht zu weit!«
    Ruckartig drehte er sich um und stapfte aus dem Raum.
    Erzürnt begab er sich in sein Haus. Die Hitze war heute unerträglich. Der gesamte Tempel war in eine schläfrige Starre verfallen, und auch er wollte ruhen. Bevor er in einen unruhigen Schlaf fiel, dachte er mit Freude an sein neues Haus, das auf der Nordseite außerhalb der hohen Tempelmauern gebaut wurde und mit seinen hoch gelegenen Fenstern den Nordwind in sein Schlafgemach leiten würde. Das Grundstück schloss direkt an den Tempelbezirk an, sodass er ihn durch eine kleine Pforte schnell erreichen konnte. Diese Vergünstigung gegenüber den anderen Priestern hatte er sich vom Pharao erbeten, und Ramses hatte sie ihm widerspruchslos gewährt.
     
    * * *
     
    Die Sonne stand schon tief, als allmählich wieder Leben in den Tempel kam. Die niederen Priester reinigten die Kultinstrumente, fegten die Fußböden und besprengten sie mit Wasser aus dem Heiligen Becken. Die höheren Priester begaben sich ins Haus des Lebens, um ihre Studien fortzuführen, und die oberste Priesterschaft widmete sich Verwaltungsaufgaben. Die Handwerker kehrten in ihre Werkstätten zurück, und die tempeleigenen Diener und Dienerinnen nahmen die ihnen zugeteilten Arbeiten wieder auf. Sie umsorgten die Bepflanzungen der kleinen Parkanlage und säuberten den Tempelvorhof und alle Plätze und Räumlichkeiten, die von unreinen Personen betreten werden durften. Sie fegten und wischten die Unterkünfte der Priesterschaft, putzten die Badehäuser und Aborte oder sie arbeiteten in den Küchen und bereiteten unter der strengen Aufsicht der Priester die Speisen für den Gott Osiris zu.
    Amunhotep hatte sich für den Nachmittag vorgenommen, sich um die liegengebliebenen Arbeiten der letzten Tage zu kümmern. Er wollte nicht alles an Ipuwer weiterreichen, um sich nicht die Zügel aus der Hand nehmen zu lassen. Also zog er sich mit seinem Schreiber in sein Arbeitszimmer im Tempel zurück, um ungestört zu sein, bis es Zeit wurde, sich mit Ipuwer zu treffen.
    Der Mond war aufgegangen und warf sein fahles Licht auf die Wege des Parks und auf den Teich. Amunhotep befand sich im Wohnbereich der Priesterschaft und entdeckte Satra, die mit angezogenen Knien an einen Baumstamm saß und zu dösen schien. Er ging ein Stück den Weg zum Teich entlang, um sie ins Haus zu schicken, überlegte es sich anders und schlug jenen ein, der zum Zugang des Tempelhofes führte. Dabei bemerkte er nicht den Mann, der sich hinter einem Strauch

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