Das Geschenk des Osiris
wandte sich jedoch noch einmal um. »Du kannst ja beten und hoffen, dass der Eingriff nicht gelingt. Immerhin sterben mehr Patienten nach einer solchen Operation, als dass sie es überleben.«
Er öffnete die Tür und begab sich zügig an die Arbeit.
Zuerst reinigte er die Wunde vom Blut und begann, die eingedrückte Schädelpartie vorsichtig abzulösen, um die feinen Knochensplitter behutsam aus der grauen Hirnmasse zu entfernen. Nachdem Paheri die Wunde gesäubert hatte. stellte er fest, dass es nur ein einziges großes Knochenstück war, das abgenommen werden musste, um das Gehirn freizulegen und es von den restlichen Splittern zu befreien.
Während der gesamten Prozedur gab Amunhotep keinen Laut von sich. Da es ein langwieriger und gefährlicher Eingriff war, betete Paheri, dass ihm kein Fehler unterlief. Er wollte das Leben seines Patienten retten, egal, was Ipuwer von ihm verlangte. Sollte Amunhotep dennoch sterben, bräuchte er sich wenigstens keine Vorwürfe zu machen.
Nachdem alle Knochenabsplitterungen beseitigt waren, legte Paheri das gesäuberte Schädelknochenstück wieder vorsichtig in die richtige Lage, zog die Haut darüber zusammen und vernähte die Wunde. Anschließend deckte er sie mit sauberem Leinen ab und verband den Kopf des Oberpriesters. Dann wurde Amunhotep in sein Haus gebracht.
Paheri und Netnebu teilten sich in dieser Nacht die Wache am Bett des Verletzten, doch Amunhotep kam nicht zu Bewusstsein. Er stöhnte nur ein ums andere Mal. Die Priester wussten, würde es in den nächsten drei Tagen und Nächten zu keiner Entzündung der Wunde kommen, wäre Amunhoteps Leben gerettet. Ob er allerdings jemals wieder sein Amt ausfüllen konnte, lag jetzt ganz allein in den Händen der Götter.
* * *
Nach der Operation war Ipuwer wütend in sein Haus geeilt, hatte sich aber recht schnell wieder beruhigt. Paheri hatte recht. Die wenigsten Patienten überlebten einen solchen Eingriff, und die, die es taten, waren meist hinterher körperlich behindert oder nicht mehr ganz bei Sinnen.
Zufrieden begab er sich ins Bett.
Am kommenden Morgen bestieg er seine Barke, um die Dienerin in Theben dem Wesir zu übergeben. Als Zeugen hatte Ipuwer die beiden Wachleute mitgenommen, die die Frau mit der blutverschmierten Keule in der Hand neben ihrem Herrn hatten stehen sehen. Deren Aussage würde sicher reichen, um dieser Satra die Schuld in die Sandalen zu schieben. Und er hatte auch gleich das passende Motiv für diese abscheuliche Tat parat: Rache. Immerhin hatte Amunhotep die Dienerin tags zuvor zu Unrecht bestrafen lassen. Für jeden Richter würde feststehen, dass sie sich daraufhin an ihrem Gebieter gerächt hatte.
Zufrieden rieb sich Ipuwer die Hände.
Nichts stand seiner Zukunft mehr im Wege. Die Schuldige war gefunden, Amunhotep würde entweder sterben oder unfähig sein, sein Amt auszuüben, und dann, dann würde der Pharao endlich ihn, Ipuwer, zum Oberpriester des Osiris ernennen.
Froh gelaunt nippte Ipuwer an einer Schale Wein und ließ die verdorrte Landschaft an sich vorüberziehen.
ZWANZIG
Missmutig sah Nehi von seiner Arbeit hoch, als ein Diener leise in sein Amtszimmer im thebanischen Palastbezirk kam und sich demütig vor ihm verneigte.
»Was gibt es?«, fragte der mächtigste Mann nach dem Pharao schroff. »Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden will?«
»Verzeih, Hoher Herr, der Zweite Prophet des Amun möchte dich dringend sprechen. Er sagt, es sei äußerst wichtig.«
Überrascht stimmte Nehi zu, denn wenn sich sein Freund Nesamun aus seinem Tempel bewegte, musste es in der Tat um etwas ganz Wichtiges gehen.
Der Zweite Prophet erschien, auf seinen Amtsstab gestützt, in der Tür, und Nehi stand hinter seinem Schreibtisch auf, um ihn zu begrüßen. Der Diener war mit ins Zimmer gehuscht und rückte dem Priester einen gepolsterten Stuhl heran sowie einen Schemel, auf den Nesamun sein verkrüppeltes Bein legen konnte.
»Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«, fragte der Wesir seinen Gast, als beide allein waren. »Lass mich raten, Nesamun, es geht um deinen Sohn, habe ich recht? Sei ohne Sorge, mein Freund. Ich selbst oder der Pharao persönlich wird die Verhandlung führen, und sollte die Frau schuldig sein, wird sie für das, was sie getan hat, bestraft werden. Allerdings ...«, Nehi kratzte sich verlegen an der Augenbraue, »... werde wohl nicht ich, sondern Ramses das Urteil über sie fällen.« Er sah zu Nesamun
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