Das Geschenk des Osiris
werden. Wahrscheinlich ist Senbi mit seinem Gefolge in Syrien untergetaucht. Immerhin ist er syrischer Abstammung.« Er räusperte sich. »Es gibt noch etwas, was du wissen solltest, Majestät. Ich empfehle allerdings, dass wir das unter vier Augen tun.« Entschuldigend blickte Nehi zum Vizekönig, der sich auf Ramses ’ Wink hin unter Verbeugungen zurückzog.
»Was hast du zu berichten«, wollte Ramses wissen, als er und der Wesir alleine waren.
»Es geht um den Oberpriester des Osiris, um Amunhotep«, hob Nehi an und berichtete in knappen Worten, was vorgefallen war. Er vergaß auch nicht, von Nesamuns Besuch zu berichten und von dessen Wunsch, die Leibeigene nach Opet-sut zu überstellen.
»Zudem forderte er mich auf«, schloss Nehi, »zum einen in Abydos Untersuchungen anzustellen, zum anderen mit der Verhandlung zu warten, bis du vom Feldzug zurückgekehrt bist.«
Ramses war bestürzt, dass man versucht hatte, Amunhotep zu töten. Er war aber auch hellhörig geworden.
»Hast du in Abydos irgendetwas erfahren?«
»Nein, Majestät. Es liegen mir die Aussagen der beiden Wachleute vor, die allerdings nur bestätigen können, dass die Frau die Waffe in der Hand gehalten hat; dennoch sind fast alle Priester von ihrer Schuld überzeugt. Wer, wenn nicht sie, sollte Amunhotep niedergeschlagen haben? Sie hatte einen Grund. Er hatte sie tags zuvor bestraft, nach ihrer eigenen Aussage zu unrecht.«
Nachdenklich stützte Ramses sein Kinn in die Hand. Irgendwie konnte er nicht glauben, dass eine Leibeigene wegen ein paar Stockhieben, selbst wenn sie ungerechtfertigt gewesen sein sollten, versuchen würde, ihren Gebieter zu ermorden.
»Ich werde mich der Sache persönlich annehmen. Schon bald statte ich Theben einen Besuch ab, und du wirst mich dabei begleiten.«
ZWEIUNDZWANZIG
Die Arbeiter von der Stätte der Wahrheit waren nervös und aufgeregt. Sie gehörten zu jenen Handwerkern, die in einem abgeschiedenen Dorf auf dem Westufer von Theben lebten und für die Pharaonen, deren Familien und die Vornehmen aus der Region um die südliche Königsstadt die Gräber aus dem Stein hauten und sie anschließend kunstvoll verzierten. Seit der zu Osiris gewordene Pharao Amenophis I. vor gut 350 Jahren für eine handverlesene Gruppe von Steinhauern, Steinmetzten, Malern, Zeichnern, aber auch Hilfskräften dieses Dorf hatte errichten lassen, hatten Generationen von überaus begabten Arbeitern dort gelebt, viele von ihnen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Auch wenn es nicht allzu häufig vorkam, so war es für sie nichts Ungewöhnliches, dass sich die höchsten Beamten und der Herrscher selbst im Königstal blicken ließen, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu informieren. Dieses Mal war es jedoch etwas anderes. Seine Majestät hatte für den heutigen Tag seinen Besuch angekündigt, und der Stand der Arbeiten war sicher nicht das, was er erwarten würde. Grund dafür waren die immer härter gewordenen Gesteinsschichten, auf die die Steinhauer seit gut einer Woche trafen, je tiefer sie in den Felsen vordrangen.
Der erste und der zweite absteigende Gang waren komplett aus dem Gestein gehauen, auch der Vier-Pfeiler-Saal sowie der sich daneben befindliche Anbau in groben Zügen fertiggestellt. Mit Beginn des dritten Korridors hatte sich dann der Fels zu verändern begonnen. Es war zunehmend schwieriger geworden, ihn zu bearbeiten.
Im oberen Gang waren die Wände, die Decke und der Fußboden komplett geglättet, und die Gipser hatten Löcher und Unebenheiten in den Flächen verputzt. Ihnen waren die Vorzeichner gefolgt, die ein Raster mittels in Farbe getränkter Schnüre auf die Oberfläche der Wände und der Decke aufgebracht hatten, mit deren Hilfe die Konturen der heiligen Zeichen in roter Farbe aufgemalt wurden. Ihre Vorarbeiter hatten alles kontrolliert und kleine Änderungen in schwarzer Farbe vorgenommen, sodass die Steinmetze alles fein säuberlich im Hochrelief herausarbeiteten konnten. Nachdem diese ihre Arbeit beendet hatten, waren die Maler gefolgt, um die Darstellungen mit leuchtenden Farben zu versehen.
Diese Arbeiten standen kurz vor ihrer Vollendung, als am frühen Vormittag der Herr der Beiden Länder zusammen mit dem Oberbaumeister, dem Hohepriester des Amun-Re, dem Wesir und der Großen Königlichen Gemahlin im Königstal erschien.
Die Arbeitskolonnen legten ihre Werkzeuge nieder und traten hinaus in die stickige Hitze des Tals, um sich vor dem Pharao in den Staub zu
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