Das Geschenk des Osiris
dass die Gesteinsschichten bald wieder weicher werden!«
»Das kann niemand mit Gewissheit sagen, Majestät.« Nachdenklich legte der Mann den Kopf etwas schräg und schüttelte schließlich das Haupt. »Ich denke allerdings, nein. Ich bin nun schon seit fast achtzehn Jahren Steinhauer. Meine Erfahrung sagt mir, dass es aussichtslos ist, die Arbeiten fortzuführen. Seit mehr als einer Woche sind wir mit dem dritten Korridor beschäftigt und überhaupt nicht vorangekommen. Niemand kann wissen, ob hinter dieser Schicht eine weichere liegt. Vielleicht erreichen wir sie schon morgen, Majestät, vielleicht aber kommt sie auch nie.«
»Vertrittst auch du diese Meinung?«, wandte sich Ramses an den Vorsteher der Steinhauer, der seinem Untergebenen, ohne zu zögern, zustimmte. »Dann ziehe deine Männer von hier ab. Ich werde mir einen neuen Platz für mein Ewiges Haus suchen, wo du hoffentlich nicht auf die gleichen Schwierigkeiten treffen wirst.« Ramses wandte sich den anderen Handwerksgilden zu. »Für euch gilt dasselbe. Die Arbeiten an diesem Grab werden eingestellt.« Er sah sich nach dem Obersten Schreiber der Grabarbeiter um, der zusammen mit den anderen drei Beamten dem König aus der Grabstätte gefolgt war. »Du wirst dafür sorgen, dass der Zugang mit einer Holztür verschlossen wird. Anschließend wirst du mit dem Wesir und dem Hohepriester einen neuen Platz im Königstal suchen, wo mein Grab errichtet werden kann.« Er drehte sich um und schritt zurück zu seinem Wagen.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Majestät?«, erkundigte sich Isis, die aus ihrer Sänfte gestiegen und auf den König zugetreten war.
»Ich war bei der Wahl meiner Beamten wohl etwas zu vertrauensselig«, grollte Ramses. »Das wird sich ändern! Ich werde alle unfähigen Männer ohne Gnade ihrer Ämter entheben und mit meinem Oberbaumeister fange ich an. Wer der Meinung ist, über Meine Majestät oder meine obersten Beamten hinweg Entscheidungen treffen zu können, den werde ich meine starke Hand spüren lassen. Niemand darf sich das Recht herausnehmen, gegen die Maat zu verstoßen und seinen Pflichten nicht nachzukommen!«
Er gab seiner Gemahlin einen Kuss auf die Stirn und geleitete sie zurück zu ihrer Sänfte. Dann bestieg er seinen Wagen und fuhr zum Ausgang des Königstals zurück.
* * *
»Es hat mich betrübt zu hören, was deinem Sohn widerfahren ist«, begrüßte Ramses den Zweiten Propheten des Amun, der um eine private Audienz bei ihm gebeten hatte. »Ich werde mich sofort der Sache annehmen, und wenn die Frau schuldig ist, wird sie ihrer gerechten Strafe nicht entgehen.«
»Danke, Majestät«, entgegnete Nesamun. »Ich habe aber nicht um diese Audienz gebeten, um eine schnelle und harte Bestrafung zu erbitten, da ich weiß, dass diese Frau unschuldig ist. Ich habe darum gebeten, um dir Dinge mitzuteilen, die während deiner Abwesenheit geschehen sind und über die du sofort informiert sein solltest.«
Nachdenklich sah Ramses sein Gegenüber an. Er hatte sich also nicht getäuscht. Es gab etwas, worüber Nehi nicht unterrichtet war. Zudem war selbst er nicht ganz von dem Motiv für diese abscheuliche Tat überzeugt.
Er räusperte sich. »Du weißt, dass sie unschuldig ist?«
»Ja, Majestät.« Der Priester lächelte versonnen.
Er hatte es sich dem Pharao gegenüber auf einem Sitzmöbel bequem gemacht und genoss den Schatten und die Ruhe des von hohen Büschen umgebenen Pavillons im Garten des Palastes. Wein, eine Schale mit Trauben, Feigen und Granatäpfeln sowie eine mit Gebäck standen vor den beiden Männern auf einem Tisch.
»Verzeih meine Kühnheit, Majestät, aber ich denke, dass auch du das weißt«, setzte Nesamun hinzu und griff nach einer dunklen Traube. Während er sie genüsslich verspeiste, lugte er verstohlen zu Ramses, der fragend die Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte.
»Könntest du dich etwas genauer ausdrücken, Nesamun?«
Ergeben senkte der Zweite Prophet seinen kahl rasierten Kopf.
»Kurz bevor der Anschlag auf meinen Sohn verübt wurde, war er bei mir in Opet-sut. Er fragte mich nach dem Wahrheitsgehalt der Geschichten über jene Wesen, die unseren Ahnen von den Göttern gesandt wurden, und wollte wissen, ob auch gewöhnliche Sterbliche geschickt worden seien. Am Anfang schmunzelte ich, bald schon aber hatte Amunhotep mein Interesse geweckt. Er erzählte mir nämlich, dass seiner leibeigenen Dienerin, die du, Majestät, zu ihm in den Tempel gegeben hast, ein paar Nächte zuvor der
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