Das Geschenk des Osiris
Große Gott Osiris erschienen sein soll. Osiris soll ihr einen Schwur abverlangt haben, ihm, dem Gott, dir, dem Pharao, und Amunhotep, dem Oberpriester des Osiris, für alle Ewigkeit treu zu dienen. Ob es wirklich so war, konnte mein Sohn natürlich nicht bestätigen. Seine Dienerin trägt jedoch seit diesem Abend ein heiliges Mal auf ihrem linken Arm.«
Ramses hörte Nesamun mit angehaltenem Atem zu.
»Ist das wahr?«, fragte er, nachdem der Zweite Prophet geendet hatte.
»Ja, Majestät, ich habe das Zeichen mit eigenen Augen gesehen.«
»Ich verstehe.« Ramses hatte sich wieder gefasst. »Deshalb hast du sie zu dir nach Opet-sut geholt.«
»In der Tat, Majestät, das war der Grund. Ich habe mich in der Zwischenzeit belesen, konnte jedoch in der Bibliothek von Opet-sut nicht sehr viel darüber finden. Ich habe auch mit meinem Vater gesprochen. Er meint, dass die Antworten in Heliopolis und Hermopolis zu finden seien. Zudem stimmt er mit mir darin überein, dass diese Frau niemals die Hand gegen meinen Sohn erheben würde. Daran hindert sie ihr Schwur.«
Nachdenklich kratzte sich Ramses am Kinn. Nach einer Weile fragte er: »Kennst du den genauen Wortlaut des Eids?«
»Der ist mir nicht bekannt. In den Überlieferungen steht jedoch geschrieben, dass die Gesandten der Götter nie etwas getan haben, das dem, dem sie dienen sollten, Schaden zugefügt hätte. Wir können sie jedoch danach befragen, Majestät.« Er räusperte sich leicht. »Ich hatte Amunhotep empfohlen, dass er seine Nachforschungen in Hermopolis im Tempel des Thot sowie im Re-Tempel von Heliopolis anstellen soll. Er fuhr nach Abydos zurück; dann wurde er brutal überfallen.«
»Glaubst du, dass das miteinander zusammenhängt?«
»Seine Reiseabsichten und der Anschlag auf ihn?« Unschlüssig zuckte Nesamun mit den Schultern. »Das ist schwer zu sagen, aber wenn es nicht die Leibeigene war, wer war es dann?«
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Ramses. »Anscheinend ist das Böse im Tempel des Osiris noch immer nicht ausgemerzt, doch nun lass uns gehen.« Er war aufgestanden. »Ich will mit eigenen Augen die Frau und das heilige Zeichen sehen.«
* * *
Als Satra in Opet-sut eingetroffen war, war sie mehr tot als lebendig. Die im Gefängnis arbeitenden Beamten hatten sie aufgrund ihrer ungewöhnlichen Körpergröße sofort wiedererkannt. Und da sie schon einmal wegen eines Mordversuchs angeklagt worden war und gemunkelt wurde, dass sie am tragischen Tod des Thronfolgers nicht ganz unbeteiligt gewesen sein sollte, hatten sie das Verhör bedeutend roher geführt als üblich. Zudem war, wie bei allen Wiederholungstätern, nicht nur vom Stock, sondern auch von der Peitsche Gebrauch gemacht worden.
Nesamun hatte sofort seinen Vater und seinen Bruder verständigt, nachdem man ihn von der Ankunft der Frau unterrichtet hatte, und gemeinsam waren sie ins Lebenshaus geeilt, wo ein Heilkundiger mit seinen Gehilfen schon dabei gewesen war, die Frau zu behandeln.
Sie trug einen schmutzigen Verband um ihren linken Oberarm, den Nesamun mit vor Aufregung zitternden Händen entfernt hatte. Die Haut darunter war aufgerissen und etwas entzündet gewesen, aber ganz deutlich hatte man die bläuliche Tätowierung erkennen können.
Ungläubig hatte Nesamun auf das Zeichen gestarrt. Es war also wahr. Die zu lebenslanger Zwangsarbeit und Leibeigenschaft verurteilte Dienerin seines Sohnes trug ein heiliges Mal.
Der Heilkundige und die beiden Propheten hatte die Augen weit aufgerissen und ungläubig auf den Arm der Frau gestarrt, während die Gehilfen keine Ahnung gehabt hatten, um was es sich dabei handelte.
»Ist das echt?«, hatte der Arzt den Hohepriester flüsternd gefragt, und Ramsesnacht hatte bejaht.
»Pflegt sie gesund!«, hatte er befohlen und war mit seinen Söhnen wieder gegangen.
Satra erholte sich recht schnell, obwohl ihr der rechte Arm noch längere Zeit schmerzte, an dem sie der Soldat in Abydos achtlos weggeschleift hatte. Sie war zwar als Gefangene nach Opet-sut gebracht worden, durfte sich aber in dem für die Bediensteten zugänglichen Teil des Tempels frei bewegen. Man hatte ihr eine Ecke in den Unterkünften der Dienerschaft zugewiesen, wo sie schlafen konnte, und als es ihr zunehmend besser gegangen war, war sie mit der Reinigung der Unterkünfte betraut worden.
Dabei war sie Nesamun dreimal begegnet, ohne zu wissen, wer er in Wirklichkeit war.
Amunhoteps Vater hatte stets einen einfachen Schurz und Sandalen getragen
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