Das Geschenk des Osiris
eingesehen, dass es Sethi nie in ein verantwortungsvolles Amt schaffen würde. Er liebte seine unbeschwerte Freiheit, und er liebte die jungen Frauen, die ihm auf Grund seines makellosen Aussehens reihenweise zu Füßen lagen. Der Prinz hatte ein sonniges Gemüt und war zu jedem freundlich und nett. Gefühle wie Abscheu, Hass oder Neid waren ihm fremd. Ramses konnte sich noch sehr genau an den Tag erinnern, als für seinen Bruder das erste Mal die Welt auf den Kopf gestellt und Maat außer Kraft gesetzt worden war. Es war der Tag, an dem die Harimsverschwörung aufflog, der ihr königlicher Vater beinahe zum Opfer gefallen war. Als wenig später Ramses III. starb und kurz darauf Sethis Mutter, klammerte sich der junge Mann an seinen zwanzig Jahre älteren Bruder und dessen Sohn Itiamun und war beiden bis heute nicht von der Seite gewichen.
Ramses stöhnte, da ihm das Atmen schwerfiel.
»Geht es dir gut?«, erkundigte sich Sethi besorgt und sah mitleidig auf seinen Bruder hinab. »Soll ich den Heilkundigen rufen?«
Ramses verneinte. Stattdessen fragte er erneut nach Itiamun.
»Er wird bald da sein. Der Heri-tep des Amun ist gestern aus Abydos zurückgekehrt und erstattet ihm und dem Wesir seinen Bericht.«
Abydos!
Betrübt schloss Ramses die Augen.
Die Tür zum Schlafgemach öffnete sich, und Itiamun trat ein und kniete vor dem Bett seines Vaters nieder. Anschließend erhob er sich und nahm neben seinem Onkel Platz.
»Majestät, Amunhotep ist aus Abydos zurückgekehrt und bestätigt, dass die Bauarbeiten fast vollständig zum Erliegen gekommen sind und dass der Fortgang der Arbeiten zu wünschen übrig lässt. Laut Aussage des für den Gott Osiris tätigen Vorlesepriesters Netnebu wird jedes Jahr zum Beginn der Aussaat das Tempelpersonal knapp. Er mutmaßt, dass es von jemandem für private Zwecke ausgeliehen wird. Wer dieser Jemand ist, entzieht sich seiner Kenntnis. Dasselbe trifft für eventuell entwendete Baumaterialien zu. Wenn wir aber Netnebus Worten glauben können, herrscht Djefahapi wie ein kleiner König in Abydos und scheut selbst vor Drohungen gegen seine Untergebenen nicht zurück. Ich habe den Wesir beauftragt, sofort eine Untersuchungskommission zusammenzustellen, an deren Spitze er selbst stehen wird. Nehi hat unverzüglich die Schuldigen zu ermitteln und zu bestrafen.«
Der Pharao atmete schwer. »Sind denn nicht einmal die Diener der Götter vor Gier und Habsucht gefeit?« Resigniert richtete er seinen Blick auf die beiden Männer. »Itiamun«, wandte er sich direkt an seinen Sohn, »finde das Übel, packe es an der Wurzel, und vergesse niemals, was ich dir einst sagte. Wenn du auf dem Thron sitzen wirst, gibt es keine Freunde mehr, nicht einmal Bruder oder Schwester. Traue niemandem, vertraue nur auf dich selbst. Höre dir an, was die anderen zu sagen haben, aber treffe deine Entscheidungen allein. Verlasse dich nur auf dein Herz und deinen Verstand, und handele stets im Sinne der Maat. Sie allein wird dir helfen, das Land gerecht zu regieren.«
Itiamun hatte genau wie Sethi schweigend den Worten des Königs gelauscht. Er hielt den Kopf gesenkt und verinnerlichte die Ermahnungen und Ratschläge seines königlichen Vaters. Dabei war ihm nicht entgangen, dass Sethi ihm einen knappen Seitenblick schenkte, als der Herrscher von Bruder und Schwester sprach. Der Pharao wollte ihn auf das Leben als Herr über die Beiden Länder vorbereiten, aber selbst Ramses VI. hatte zwei Freunden aus Kindertagen erlaubt, sich Einzige Freunde des Königs nennen zu dürfen: Nehi, der Wesir, und Nesamun, der Zweite Prophet des Amun, Amunhoteps Vater.
»Besetze die wichtigsten Posten mit dir treu ergebenen Männern, aber erlaube ihnen nicht, ihre Macht zu missbrauchen. Überwache ständig ihr Tun und Handeln, damit so schändliche Dinge, wie sie derzeit in Abydos geschehen, nicht mehr passieren. Bedenke, mein Sohn, wenn die Götter sich von diesem Land abwenden, wenn das Chaos über die Maat siegt, dann ist die Welt dem Untergang geweiht. Nur der Pharao besitzt die Macht, das zu verhindern.«
Der Prinz war tief bewegt. Er kniete erneut vor dem Bett seines Vaters nieder und presste die rechte Hand auf die Brust. »Majestät, ich schwöre dir und allen tausend Göttern Kemis, dass ich stets in diesem Sinne handeln werde.«
Der König schloss die Augen, und Sethi, der noch immer die Hand seines Bruders hielt, fragte besorgt: »Geht es dir gut?«
Ein kaum merkliches Nicken war Ramses ’ Antwort.
Itiamun erhob
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