Das Geschenk des Osiris
sich und gab seinem Onkel ein Zeichen, ihm nach draußen zu folgen. »Pharao braucht Ruhe«, flüsterte er ihm zu. »Komm, lassen wir ihn schlafen.«
Leise verließen beide Männer das Schlafgemach und schickten die vor der Tür wartenden Diener wieder hinein, die dem König etwas Kühlung zufächeln sollten. Eine junge Dienerin schlängelte sich ebenfalls an ihnen vorbei ins Zimmer des Großen Horus ’ , nicht ohne vorher Prinz Sethi einen verliebten Blick zuzuwerfen.
»Kennst du sie?«, fragte Itiamun stirnrunzelnd, dem das nicht entgangen war.
Sethi verneinte. »Vielleicht sollte ich sie aber kennenlernen.« Er grinste Itiamun schelmisch zu. Dann beugte er sich nahe zu ihm hin und raunte: »Komme bloß nicht auf die Idee, mich als Nachfolger des Oberpriesters nach Abydos zu schicken. Ich würde dir nur Kummer bereiten.«
Kopfschüttelnd warf der Mitregent seinem Onkel einen tadelnden Blick zu und verschwand in Richtung seiner Gemächer.
* * *
Verwundert riss der Wab-Priester die Augen auf, als er die drei Barken auf Abydos zukommen sah. Er war auf das Dach des Tempels geklettert, um für die Stundenpriester alles Notwendige bereitzustellen, was diese für die Beobachtung der Gestirne am nächtlichen Himmel und somit für die Bestimmung der Zeit benötigten, um den genauen Zeitpunkt zum Abhalten der Riten festzulegen.
Er stand in den Strahlen der untergehenden Sonne und sah zu den Schiffen, an deren Spitze das des Wesirs zu erkennen war. Das Wasser des Nil glitzerte und blendete ihn, sodass er die Augen leicht zusammenkniff. Der junge Mann war ein Priester des untersten Rangs, ein
Wab
, ein Reiner. Er trug einen einfachen weißen Schurz und hatte ein Amulett in Form eines Djed-Pfeilers um den Hals. Sein kahl geschorener Schädel glänzte in den letzten Sonnenstrahlen, und der stete Nordwind, den die Menschen den Atem des Gottes Amun nannten, wehte angenehm kühlend über seine haarlose Brust.
Die Barken hielten auf Abydos zu. Das prachtvolle, aus kostbarer libanesischer Zeder gebaute Schiff des Wesirs war bereits kurz davor, am Landungssteg festzumachen. Die etwas kleineren Schiffe folgten ihm.
Aufgeregt eilte der Wab-Priester zum Rand des Daches. »Schiffe! Es kommen Schiffe!«, rief er hinunter in den Hof und wies mit dem ausgestreckten Arm in Richtung des Nil.
Einige der im Tempelhof umhereilenden Priester sahen verständnislos zu ihm hoch.
»Der Wesir kommt!«, rief er und hatte nun endlich die Aufmerksamkeit aller auf sich gerichtet.
Als Ipuwer, Schatzmeister im Tempel des Großen Gottes Osiris, diesen Ruf vernahm, krampfte sich sein Magen zusammen. Schnellen Schrittes strebte er dem Abort zu, der sich linker Hand von ihm neben dem Badehaus befand.
Das Innere des Gebäudes war durch Trennwände in kleine Zellen unterteilt, vor denen jeweils ein Stück Leinen als Sichtschutz hing. Ipuwer stürzte förmlich in eine dieser Zellen und hockte sich vor den Holzsitz, der über zwei gemauerten Füßen lag und unter dem sich ein tönerner, halb mit Sand gefüllter Kasten befand. Er steckte sich den Zeigefinger tief in den Hals, würgte und übergab sich geräuschvoll. Anschließend hustete er und wischte sich den Mund mit dem Handrücken sauber.
Mühsam kam er wieder auf die Beine und lehnte sich gegen die Zellenwand.
Es war so weit! – Der Wesir war gekommen, um sich über die Zustände in Abydos ein Bild zu machen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.
Seit über einer Woche hatte Ipuwer auf dieses Ereignis gewartet. Als Amunhotep unangemeldet erschienen war, um seinen Freund Netnebu zu besuchen, war dem Schatzmeister bereits klar gewesen, dass das nur ein Vorwand war, um in Erfahrung zu bringen, ob an den Beschuldigungen des anonymen Steinmetzen wirklich etwas dran war. Amunhotep war dann auch sehr schnell wieder nach Theben gereist, und Ipuwer war sich sicher gewesen, dass nun der Wesir nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Er setzte eine kränkliche Miene auf und schlurfte hinaus auf den Hof. Dort stieß er mit einem vorübereilenden Wab-Priester zusammen, der bei seinem Anblick wie angewurzelt stehen blieb und ihn erschrocken anstarrte.
»Geht es dir nicht gut, Herr?«
Ipuwer hielt sich noch immer den Magen und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich muss ins Bett. Ich bin krank.« Er krümmte sich zusammen, als sei er von starken Schmerzen geplagt. »Richte dem Oberpriester aus, dass ich mich entschuldige. Ich muss mich ausruhen.«
»Soll ich einen Arzt zu dir
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