Das Geschenk des Osiris
zurück, bringe ich sie ins Haus, und die da legt sie dann in die Truhen meines Herrn.« Mit einer verächtlichen Kopfbewegung wies sie auf die kniende Frau neben sich.
»Du darfst also das Haus verlassen?«, fragte Thotmose gespielt überrascht.
»Ja, sicher, Hoher Herr. Das Anwesen allerdings nur mit der Erlaubnis meines Gebieters, denn ich bin eine Unfreie.«
»Durfte Satra das Haus verlassen?«
»Natürlich, erhabener Richter. Das Haus meines Gebieters ist doch kein Gefängnis!«
»Wie lange bist du schon in Senbis Diensten?«
»Das weiß ich nicht genau«, antwortete Scherit und verlagerte ihr Gewicht vom rechten auf den linken Fuß. »Inzwischen ist der Fluss schon oft gestiegen und wieder gefallen.«
»Wie hat dich dein Gebieter seither behandelt?«
»Gut.«
»Ist das alles, Scherit? Nur gut?« Thotmose wirkte leicht irritiert. »Haben er oder einer von seinen Wachen oder Dienern dir jemals Gewalt angetan oder dich gegen deinen Willen in ihr Bett geholt?«
»Nein, so etwas hat mein Gebieter nie getan, und so etwas würde er auch niemals tun, und auch niemand von seinen Männern.« Sie bedachte die Angeklagte mit einem feindseligen Blick aus dem Augenwinkel.
»Satra behauptet, sie hätte dich öfter weinend aus dem Schlafgemach deines Herrn kommen sehen«, konfrontierte Thotmose die Nubierin.
»Das ist eine Lüge!«, empörte sich Scherit und schoss einen weiteren wütenden Blick in Richtung der anderen Frau. »Das hat sie alles nur erfunden. Weder mein Gebieter noch irgendjemand sonst hat uns je etwas zuleide getan. Niemand wurde grundlos bestraft.«
Nachdenklich blickte Thotmose zu den beiden Frauen, die sich feindselig anstarrten. Ihm entging nicht, dass die Angeklagte ihre gesamte Beherrschung aufbringen musste, um der Nubierin nicht an die Gurgel zu gehen. Sie war wütend und empört.
»Hast du darauf etwas zu erwidern, Satra?«, fragte er sie.
»Ja, Herr, nicht ich bin die Lügnerin, sondern sie«, giftete Satra. »Ich weiß zwar nicht, was Senbi ihr dafür versprochen hat, dass sie und ihr Sohn hier diese Falschaussagen machen, aber nichts davon entspricht der Wahrheit. Vielleicht hat er den beiden, genau wie mir, die Freiheit versprochen, wenn sie tun, was er verlangt. Ich schwöre aber bei allen Göttern, dass ...« Weiter kam sie nicht. Die Nubierin brach in schallendes Gelächter aus.
»Mäßige dich, Scherit!«, herrschte Thotmose sie an.
»Verzeih mir, Hoher Herr,« Scherit war vor Lachen kaum in der Lage zu sprechen, »aber wenn diese da auf die Götter schwört, dann ist der Schwur nichts wert. Sie glaubt an keinen Gott.«
Diese Aussage schlug ein wie ein Blitz des Großen Gottes Seth. Augenblicklich flammte unter den Zuschauern Getuschel auf, ebbte jedoch abrupt ab, da Thotmose mit der Befragung fortfuhr und niemand etwas verpassen wollte.
»Woher nimmst du diese ungeheuerliche Behauptung?«
»Weil ich mal gehört habe, wie mein Herr von ihr wissen wollte, welche Götter sie anbeten würde. Da hat Satra ihm geantwortet: ›Keine, denn ich glaube nicht an sie.‹«
Im Gerichtssaal wurde es erneut laut, und der Diener klopfte mit dem richterlichen Amtsstab herrisch auf den Boden.
»Stimmt das?«, wandte sich Thotmose in scharfem Ton an die hellhäutige Frau.
»Ja«, gestand sie kleinlaut, »aber ...«
»Schweig!«, herrschte er sie an. »Du gibst also zu, dass du an keinen Gott glaubst, leistest aber unablässig einen Schwur nach dem anderen auf unsere Götter«, brüllte er, und die Anwesenden hielten die Luft an. »Du machst dich damit nicht nur über sie lustig, sondern auch über dieses ehrenwerte Gericht. Bist du dir eigentlich darüber im Klaren, welche Strafe darauf und auf Meineid steht?«
Die Angesprochene zitterte am ganzen Leib. »Herr, bitte ...« Flehend sah sie zu Thotmose auf. »Ich wollte mich über niemanden lustig machen. Es war stets die Wahrheit, die ich sprach und mit einem Schwur bekräftigen wollte.«
»Deine Schwüre haben keinen Wert für dieses Gericht, nachdem ich weiß, dass du auf etwas geschworen hast, woran du nicht glaubst. Im Gegenteil, ich nehme viel eher an, dass du über Senbi falsches Zeugnis abgelegt hast, um deine Schuld herunterzuspielen.«
Satra, die eben noch zusammengesackt vor Thotmose gekauert hatte, schien ihren letzten Kampfgeist zusammenzunehmen. Sie straffte den Rücken und starrte den Richter aus ihren grünen Augen entrüstet an.
»Ich habe kein falsches Zeugnis über Senbi abgelegt«, erwiderte sie erzürnt.
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