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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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seit der ersten Verhandlung vergangen, und nun sollte der Prozess endlich fortgesetzt werden.
    Der Gerichtshof war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch dieses Mal waren nur angesehene thebanische Bürger und Würdenträger anwesend, die sich nach der langen Zeit der Trauer nach etwas Abwechslung sehnten. Zudem barg dieser Fall jede Menge Zündstoff für Klatsch und Tratsch, denn einer der Beschuldigten war selbst ein angesehener Thebaner.
    Die Angeklagte war in den vergangenen Wochen noch magerer geworden, was Thotmose auf die spärliche Ernährung im Gefängnis zurückführte. Das Stück Stoff, das einstmals ein Kleid gewesen war, hatte sie sich als Lendentuch umgebunden. Es starrte vor Schmutz. Ihre Wangen waren eingefallen, und das ehemals rote Haar war verlaust und hing ihr verfilzt und schmuddelig auf die Schultern.
    Angewidert wandte Thotmose seinen Blick von der Frau.
    Es war ihm unbegreiflich, was Seiner Majestät an ihr lag, aber des Königs Drohung war unmissverständlich gewesen und klang ihm noch immer in den Ohren. Sie hatte dem Richter einige schlaflose Nächte bereitet, und sollte heute nicht etwas Entscheidendes passieren, geriet Thotmose in einen Gewissenskonflikt. Er war Richter, ein Diener der Maat, er war aber auch ein Diener des Pharaos, der die Maat im Land aufrecht erhielt. Was sollte er bloß tun?
    Sein Blick wanderte weiter zu Ibiranu, der, in einen bunten Wollumhang gehüllt, auf seinem Hocker saß und den Beginn der Verhandlung kaum erwarten konnte. Thotmose schüttelte sich unmerklich bei der Vorstellung, bei dieser Hitze mit einem wollenen Umhang bekleidet im Gerichtshof sitzen zu müssen. Er selbst trug nur sein leinenes Richtergewand.
    Er verdrängte das unbehagliche Gefühl und blickte auf die zwei Gehilfen zu seinen Füßen hinab. Sie hatten ihr Schreibzeug herausgeholt und ein paar Spritzer Wasser für Imhotep, den großen Weisen, vergossen. Anschließend hatten sie pflichtschuldig ihr Gebet an ihren Schutzgott Thot gewispert und warteten nun darauf, die Verhandlung zu protokollieren.
    Thotmose gab dem schräg hinter ihm stehenden Diener ein Zeichen. Dieser klopfte mit dem Schaftende des richterlichen Amtsstabs dreimal auf den Boden. Die Verhandlung war eröffnet.
    Augenblicklich kehrte Ruhe ein.
    Thotmose stellte die Gerichtsbeisitzer vor, und der ältere der beiden Schreiber verlas die Klageschrift. Dann begann Thotmose mit der Beweisaufnahme.
    »Der Kaufmann Senbi und sein Gefolge konnten bislang nicht aufgefunden und somit auch nicht zu den Anschuldigungen, die dem Gericht durch die Dienerin Satra vorgetragen wurden, befragt werden«, verkündete er, und die Anwesenden fingen an zu tuscheln. »Mir liegen die Vernehmungsprotokolle der Dienerschaft des Kaufmanns Senbi vor. Es handelt sich dabei um das Dienstpersonal, das für das Anwesen zuständig und dem der Zutritt zum Wohnbereich des Hausherrn verboten ist, sowie um die zurückgebliebenen Wachen. Alle haben einmütig ausgesagt, dass sie weder schlechter noch besser von Senbi oder seinen Aufsehern behandelt wurden als in einem anderen Haushalt. Es wusste auch niemand der Befragten etwas über Vergewaltigungen oder Misshandlungen im Hause des Senbi zu berichten. Eine der Küchenhilfen bestätigte allerdings, dass sie einst von einem Wächter belästigt worden sei und diesen Vorfall dem Aufseher der Dienerschaft gemeldet habe. Der betreffende Soldat wurde sofort entlassen. Seitdem sei es nie wieder zu einem derartigen Vorfall gekommen.« Fragend richtete Thotmose seinen Blick zu der vor ihm knienden Frau. »Wie passt das mit deiner Aussage zusammen, dein Gebieter und seine Gehilfen hätten dich geschlagen und missbraucht?«
    »Das kann ich dir nicht beantworten, Hoher Herr«, antwortete Satra. »Ich kann nur für mich sprechen, denn ich habe das Haus nie von außen gesehen. Ich kenne auch niemanden von den anderen Dienern, die keinen Zugang zum Privatbereich Senbis haben. Senbi hielt mich wie eine Gefangene in seinen Räumen eingesperrt. Zu anderen Bediensteten hatte ich fast keinerlei Kontakt. Die, die auf seinem Anwesen und in den Küchen für ihn tätig waren, habe ich nie zu Gesicht bekommen. Sicher wussten sie gar nicht, dass es mich gibt. Ich schwöre aber, dass ich die Wahrheit spreche.«
    »Du solltest dir gut überlegen, ob du einen Schwur leistest. Bedenke immer, dass ein Meineid vor einem Gericht hart geahndet wird. Ich will dir aber glauben, dass du keinen Kontakt zum Hof- und Küchengesinde hattest. Wer von den

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