Das geschenkte Gesicht
Kopf und schwenkte sie durch den Maiabend.
Die Tür glitt aus den Händen Ursula Schwabes.
»Karlheinz …«, stammelte sie. »Karlheinz Petsch.«
Frau Hedwig Schwabe biß die Zähne zusammen. Sie stemmte sich gegen die Tür, damit die Karre nicht umschlug.
»Fassen Sie an!« rief sie. »Wenn Sie schon 'mal da sind!«
Und Karlheinz Pesch, der ehemalige Feldwebel der Luftwaffe, spuckte in die Hände, sagte »Hauruck!«, bückte sich etwas, ließ sich die schwere Tür auf die Schulter schieben und trug sie die Kellertreppe hinunter.
»Er ist zurückgekommen«, stotterte Ursula. Sie lehnte sich gegen die Reste des Hauseinganges. »Er muß weg, Mutter. Er muß sofort weg. Du mußt ihm sagen, daß Erich jeden Tag kommen kann. Du mußt ihn hinauswerfen. Sofort, hörst du, Mutter. Sofort!«
»Die paßt wie nach Maß gemacht!« rief Petsch aus dem Keller. »Nur das Schloß geht nicht. Aber 'n Schloß kriegen wir auch noch!«
»Jag ihn weg, Mutter«, stammelte Ursula. Ihre Augen waren schreckensweit. »Bitte, bitte.«
Frau Schwabe nickte und stieg in den Keller.
Karlheinz Petsch saß auf einem Stuhl und hatte sich eine Zigarette angezündet. Es war eine süßliche Virginiazigarette. Fünf Stück davon genügten den Amerikanern, um dafür ein deutsches Mädchen zu kaufen. Frau Schwabe wedelte mit der Hand durch die Luft, um den Rauch zu vertreiben, der zu ihr hinzog. Petsch wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
»Tja, Muttchen – da bin ich wieder«, sagte er. Es war eine lahme Rede. In Frau Schwabes Augen las er genau, was sie dachte und was sie ihm gleich sagen würde. Er kam dem zuvor, indem er sich erhob und die Zigarette auf dem Betonboden zertrat. Die Kippe schob er mit der Schuhspitze zum Ofen.
»Ich wußte nicht, wohin, Muttchen. Meine Heimat ist von den Iwans besetzt, Verwandte habe ich nicht mehr, ich habe eigentlich nichts auf der Welt als mich selbst. Ja, und die Erinnerung an Ursula. Das war's. Das hat mich nach Köln getrieben. Gehste hin und fragste höflich, ob du bleiben kannst, habe ich mir gedacht. Und nützlich kannste dich machen, habe ich mir gedacht. Ein Mann kann mehr organisieren als zwei Frauen. Organisieren haben wir schließlich gelernt beim Barras, Muttchen!«
»Nennen Sie mich nicht immer Muttchen!« sagte Frau Schwabe streng. Was sie Karlheinz Petsch entgegenschleudern wollte, war hinfällig geworden. Er hatte kein Zuhause mehr, keine Eltern, keine Geschwister, niemanden mehr. Er war zum Strandgut geworden, das die letzten Wellen des Krieges zu ihnen getrieben hatten.
»Wie stellen Sie sich das vor?« fragte sie.
»Wie man sich das so denkt. Ich werde mir einen Nebenkeller ausbauen, und Sie oder Ursula kochen für mich. Das ist alles, was Sie zu tun brauchen. Alles andere mache ich. Ich besorge zu essen, ich beschaffe für euch, was ich kann. Und ich baue das Haus wieder auf.«
»Das Haus?«
»Aber ja! Ich bin doch Maurer und Putzer! Wir werden die Steine schön abklopfen, Wasser gibt's wieder, Sand und Zement werd' ich organisieren. Und Sie sollen sehen, wie schnell wir das Parterre wieder hochgezogen haben! Wenn andere noch in den Bunkern hocken, haben Sie schon eine Luxuswohnung! Und als Maurer, Muttchen, da kommt man überall 'ran, da kriegt man alles, was man braucht. Ich bin doch jetzt der wichtigste Mann.«
»Und … und wenn mein Sohn zurückkommt? Jetzt kommt er bestimmt zurück!«
»Dann geb' ich ihm die Hand und sage: ›Guten Tag, Kumpel! Ich hab' mich 'was um deine Frauen gekümmert. Los, die Ärmel hoch und angepackt. Du setzt den Mörtel um, ich mauere.‹«
»Und Ursula?«
»Tja«, Karlheinz Petsch hob die Schultern. »Das muß nun Ursula allein wissen. Ich bin immer für sie da.«
»Sie weiß es schon. Sie wartet auf ihren Mann!«
»So sicher bin ich da nicht. Hat sie überhaupt schon einen Gesichtsverletzten gesehen?«
»Ja. Zufällig.«
»Zufällig sehen ist etwas anderes als ein ganzes Leben mit einem solchen Mann zusammenleben. Man kann sich das einmal oder zweimal ansehen. Aber immer? Tag und Nacht? Und man weiß nie: Wird's wirklich anders? Oder bleibt er so?«
Frau Schwabe trat aus dem Eingang. Ihr verhärmtes, vom Hunger gezeichnetes Gesicht zuckte.
»Sie sprechen von meinem Sohn!« sagte sie kalt. »Gehen Sie.«
»Da hört doch alles auf!« Karlheinz Petsch nahm seine karierte Mütze und stülpte sie über die verschwitzten Haare. »Jedem ist heute das Hemd näher als die Hose. Und Sie denken zehn Jahre weiter. Ich
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