Das geschenkte Gesicht
Verachtung in der Stimme. »So etwas wirft man weg wie einen faulen Apfel, von dem man ein Stückchen abgebissen hat. Aber dich liebe ich, Uschi. Ich kann nun mal nichts dafür. Und wenn ich mich geirrt habe, dann habe ich eben Pech gehabt!«
»Du hast dich geirrt! Ich kann es dir schon jetzt sagen. Du brauchst nicht zu warten. Ich liebe Erich, und ich bleibe bei ihm – ganz gleich, was noch kommt!« rief Ursula.
Karlheinz Petsch drückte bedächtig den Daumen auf die heiße Asche in seiner Pfeife und preßte den brennenden Tabak etwas zusammen. Dabei sah er von unten her Ursula nachdenklich und fast mitleidig an.
»Du weißt gar nicht, was kommt, nicht wahr?« sagte er langsam. »Du hast dir gar keine Gedanken darüber gemacht, was? Der Erich kommt nach Hause, und alles ist wieder gut. Mädchen, wenn das so einfach wäre. Das ist ganz anders! Das fängt schon damit an, daß wir den Krieg verloren haben. Solange Krieg war und erst recht, wenn wir den Krieg gewonnen hätten, war es mit dem Erich eine sichere Sache. Er bliebe im Lazarett, er würde operiert, man machte ihm eine neue Nase, neue Ohren, neue Lippen, neue Backen und was weiß ich, was ihm alles fehlt. Und wenn er dann wieder leidlich vernünftig ausgesehen hätte, hätte man ihn entlassen und gesagt: ›Nun mach deine Arbeit weiter, Erich Schwabe.‹ Aber das ist doch alles vorbei, Mädchen! Jetzt wird er aus dem Lazarett 'rausgeworfen, sobald er wieder essen kann – meinetwegen macht man ihm auch noch die Nase. Aber dann ist Schluß! Wie kommen die Amis dazu, dem Erich Schwabe jahrelange kosmetische Operationen zu bezahlen? Er wird als normaler Kriegsgefangener eines Tages – vielleicht schon vorzeitig – entlassen, und dann ist er da! Ohne Gesicht! Essen kann er, sich die Nase putzen kann er auch wieder – und das ist alles! Kein Schwein wird sich um ihn kümmern, denn er ist ja – wie's so schön heißt – funktionsfähig! Und 'ne Rente wird man ihm in die Hand drücken, für die er sechs Ami-Zigaretten kaufen kann. Und jede Operation an seinem Gesicht, jede Narbe, die er wegnehmen läßt, jede neue Verpflanzung, einfach alles, was über dem ›funktionsfähig‹ liegt, muß er aus eigener Tasche bezahlen. Das kostet Tausende – und hat er die, Mädchen? Was ist also los, wenn der Erich kommt? Er wird jahrelang ohne Gesicht 'rumlaufen, denn dafür bekommt er ja seine Rente. Und keiner, keiner wird sich um ihn kümmern.«
Ursula biß die Lippen zusammen. Sie starrte Karlheinz Petsch stumm an, wandte sich dann um und rannte durch die Ruinen davon.
Sie wußte, daß er recht hatte, und dieses Wissen war so grausam, daß sie vor sich selbst flüchten wollte und vor der unterdrückten Frage: Kann ich das wirklich aushalten – ein ganzes Leben lang?
Als er hörte, daß sie ein Kind bekam, hob Karlheinz Petsch nur die Schultern. Die erste Mauer stand bereits, die Nachbarn beneideten die Schwabes wie nach einem Millionengewinn.
»Ich habe das erwartet, Mädchen«, sagte Petsch. »Aber das ändert nichts. Ich nehme das Kind auch mit zu mir.«
»Jetzt kann mich überhaupt nichts mehr von Erich trennen!« rief Ursula.
»Abwarten!«
»Da gibt es nichts zu warten. Es wäre besser, du zögest in eine andere Gegend. Köln ist groß genug.«
»Du kennst die Menschen nicht, Uschi. Im Augenblick bist du noch die kleine, arme Frau, deren Mann schwerverwundet in Gefangenschaft ist. Aber wenn er zurückkommt, ändert sich das.«
»Was soll sich ändern?«
»Alles, Mädchen. Dann ist das Mitleid weg! Dann heißt es nicht: Die arme Frau muß mit solch einem Krüppel leben. Nein, es wird heißen: Die Schwabe ist verrückt! Ist noch so jung und könnte was aus sich machen! Wenn so eine Verstümmelung kein Scheidungsgrund ist – das wird man sagen!«
»Ich werde jeden um die Ohren schlagen, der so etwas zu mir sagt!«
»Ihr werdet isoliert sein. Man wird euch aus dem Wege gehen. Das grausamste aller Tiere ist der Mensch, Uschi! Und wenn es Deutschland jemals wieder gut gehen sollte, ist's ganz aus! Dann seid ihr Abschaum, ein Überbleibsel des Kriegs und der Vergangenheit, an die niemand mehr erinnert werden will! Man wird euch ein Almosen geben und irgendwo in die dunkle Ecke stellen, damit der neue Glanz nicht ein Fleckchen des vergessenen Vorlebens bekommt.«
»Du bist ein Menschenverächter, weiter nichts!« sagte Ursula gepreßt.
Karlheinz Petsch nickte. »Warte es ab«, sagte er. »Man kann gar nicht so schlecht denken, wie der Mensch ist. Und am
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