Das geschenkte Gesicht
Maisknödel.‹ Aber fragen Sie mich nicht, was ›Einlage‹ bedeutet.«
Es war alles unwichtig, was um sie herum geschah. Der Krieg war vorbei, das Untersuchungslager – nun gab es nur noch eins: sie ganz allein, ihre Liebe, die reif und schwer war wie alter, abgelagerter Wein, und ihre gemeinsamen glücklichen Gedanken, die nüchtern die Tatsachen durchdachten und die ›unsere gemeinsame Zukunft‹ hießen.
»Soll ich wirklich nach Amerika gehen?« fragte Rusch immer wieder. Ja, er schreckte mehrmals hoch, mitten aus einer zärtlichen Geste Lisas, stützte sich auf, sah ihr tief in die weiten, glücklichen Augen und fragte unsicher: »Sollen wir wirklich nach Amerika?«
»Ich weiß es nicht, Walter. Ich weiß es wirklich nicht«, sagte sie jedesmal, aber er hörte aus ihrer Stimme heraus, daß sie an ein Nein dachte.
»Wir hätten keinerlei Sorgen mehr, Lisa. Man würde mir alle Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Gesichtsplastik einräumen. Es gäbe keinen Hunger mehr, keine finanziellen Überlegungen, man würde uns ein Haus zuweisen, das wir abzahlen könnten, ich würde einmal amerikanischer Staatsbürger werden. Es wäre wie ein erfülltes Schlaraffenland – es wäre wirklich ein neues Leben.«
»Ich weiß.« Lisa legte den Kopf auf seine Brust und umschlang seine Schultern. So lag sie, eng an ihn gepreßt, und hörte auf den schnellen Schlag seines Herzens. »Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, daß ich glücklich bin … glücklich … glücklich …«
»Wie ein kleines Mädchen.«
Sie nickte und rieb ihre Nase auf seiner Brust. »Ich fange dort wieder an, ich habe so viele Jahre nachzuholen.«
»Und diese Frau hat einmal die Landser angeschnauzt wie ein ostpreußischer Feldwebel.«
»Das kann ich auch jetzt noch.« Sie richtete sich auf, kniete neben Rusch und drückte das Kinn an den Hals. »Rusch, Sie ewiger Denker, können Sie nicht endlich mit diesem Blödsinn aufhören?« Ihre Stimme war hart und laut wie im Lazarett. »Sie sollen nicht denken, Mann – Sie sollen lieben! Verdammt noch mal, daß man Ihnen alles zweimal sagen muß!«
Rusch lachte und zog sie zu sich hinab. »Liebe Dr. Mainetti«, flüsterte er in ihr Ohr. »Ihre therapeutischen Fähigkeiten sprengen alle Lehrbücher.«
Aber später richtete sich Rusch unvermittelt wieder auf und saß wie erschrocken im Bett. Lisa schlief, selig lächelnd die Fäuste geballt wie ein träumendes Kind.
»Amerika«, sagte Rusch leise. »Mein Gott, sollen wir wirklich nach Amerika?«
Am Abend gingen sie wieder durch Heidelberg. Die amerikanischen Uniformen herrschten vor, nur ab und zu sah man einen deutschen Zivilisten, blaß, eingefallen, vom Krieg gezeichnet, verschüchtert, ohne Hoffnung in den Augen.
Vom Bahnhofsviertel herüber hörten sie Lärm und das Schreien eines Menschen. Dort war ein Auflauf. Zwei Polizeiuniformen tauchten in der wogenden Menge auf, zwischen ihnen ein Mann, der um sich schlug, der gegen die Beine der Beamten trat und dessen Stimme über den stillen abendlichen Platz gellte.
»Ihr Bande!« brüllte der Mann. »Noch kein Jahr vorbei, und schon kommen die Götter in Uniform wieder. Ihr kriegt euer Gehalt, ihr habt zu fressen, aber wer sorgt für mich? Loslassen, sag' ich, loslassen. Ihr Hunde. Helft mir doch, Leute! Verdammt – überall nur Feiglinge. Feiglinge! Das Gesicht haben sie mir weggeschossen – und nun soll ich dafür verhungern!«
Dr. Mainetti krallte die Finger in Ruschs Arm. »Hast du das gehört, Walter?«
Professor Rusch nickte heftig. »Komm«, sagte er. »Das sehe ich mir an.«
Sie rannten über den Bahnhofsplatz, auf die dunkle Menschentraube zu und kamen an, als die Polizisten den tobenden Mann im Polizeigriff auf die Knie zwangen.
Er hatte einen alten, blauweiß gestreiften Anzug an, sein blondes, langes, ungeschnittenes Haar hing wirr und verschwitzt über ein schiefes, von Narben und Kerben zerklüftetes Gesicht, in dem ein hängendes Auge tränte, während das zweite vor verzweifelter Wut sprühte.
»Hunde«, kreischte der Mann. »Ihr feigen Schweine!«
»Hertz!« schrie Lisa Mainetti auf, als sie das zerstörte Gesicht sah. »Walter Hertz!«
Der Mann riß an den Fingern der Polizisten, sein Kopf schnellte hoch. Mit weiten Augen starrte er auf Lisa und auf Professor Rusch, die in den Kreis getreten waren.
»Frau – Frau Doktor«, stammelte Walter Hertz. »Herr Professor.« Dann verließ ihn alle Kraft, alle Auflehnung, alle Wut. Schlaff hing er in den Händen der
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