Das geschenkte Gesicht
gut.« James Braddock lachte und klopfte Rusch auf die Schulter. »Ehrlich gesagt – es hätte mich enttäuscht, wenn Sie in die Staaten gekommen wären – jetzt schon.«
»Sie sind ein Teufel, Braddock«, sagte Lisa ehrlich.
»Wenn Sie ›lieber Teufel‹ gesagt hätten, würde ich es akzeptiert haben.« Er sah aus dem Fenster und bemerkte Walter Hertz, der zwischen zwei riesigen MP-Soldaten stand und hinaufstarrte zum Schloß. »Wer ist denn das? Den muß ich doch kennen?«
»Walter Hertz, Major.«
»Ja, wer ist denn das? Das ist doch der Geliebte von diesem Kriegsverbrechertöchterchen, wie hieß sie doch?«
Lisa Mainetti schob die Unterlippe etwas vor. »Die Tochter von dem Fabrikanten Hubert Wolfach.«
»Richtig. Der war getürmt. Wo ist er jetzt? In einem Lager?«
Lisa Mainetti schüttelte den Kopf. »Der Fabrikant Hubert Wolfach hatte neben seinem Rüstungsbetrieb ein Zweigwerk für Zinkeimer, Zinkwannen und Zinkkannen in Süddeutschland. Und Töpfe stellte er her. Major Braddock, was ist heute ein guter Topf in Deutschland wert! Und so transportierte man Hubert Wolfach in die Fabrik, gab ihm eine vorläufige Lizenz und sagte: ›Nun dreh aber fleißig Töpfe!‹ Er tut es jetzt.«
»Und was hat dieser Hertz damit zu tun?« schrie Braddock.
»Alles. Denn kaum war Hubert Wolfach wieder Fabrikant, warf er Walter Hertz hinaus. Und zwar mit den Worten: ›Ich werde es nie dulden, daß meine einzige Tochter einen Menschen ohne Gesicht heiratet.‹ Walter Hertz wartete die Stellungnahme seiner Braut gar nicht ab. Wie schon einmal, verschwand er in der Nacht und wanderte nach Heidelberg, wo er sich auf dem Schwarzen Markt über Wasser hielt. Dort haben wir ihn zufällig aufgelesen.«
»Wo ist dieser Wolfach?« fragte Braddock leise.
»In einem Dorf südlich von Donaueschingen.« Lisa Mainetti winkte ab. »Es hat keinen Sinn, Braddock. Wolfach hat bereits wieder eine Schlüsselstellung. Ohne seine Eimer und Töpfe gibt es keine Normalisierung des deutschen Lebens.« Dr. Mainetti hob beide Arme. »Man sagt immer, es gäbe kein perpetuum mobile. Es gibt eines, lieber Major. Und es heißt: die deutsche Wesensart.«
Braddock sah wieder hinaus auf den Schulhof. Walter Hertz rauchte gierig eine Zigarette. Gleichzeitig aß er ein Sandwich, das ihm ein US-Soldat zugeschoben hatte. »Was soll nun mit dem da werden?«
»Wir nehmen ihn hinauf aufs Schloß. Als Hilfssanitäter.«
»Unmöglich.« Braddock wischte sich über die Stirn. »Schloß Bernegg ist noch immer kein freies Krankenhaus, sondern ein Gefangenenlager. Und ich kann keinen entlassenen Kriegsgefangenen als Freiwilligen wieder in ein Lager stecken. Das ist doch völliger Widersinn.«
»Er muß aber aufs Schloß.« Professor Rusch erhob sich. »Er muß nachoperiert werden.«
»Im Heimatkrankenhaus.«
»Er hat keine Heimat mehr.«
»Sein Pech, Professor.«
»Warum sind Sie so, Major?« Lisa erhob sich gleichfalls. »Sobald Sie dienstlich werden, sind Sie ein Ekel.«
»Dazu bin ich verpflichtet.« Major Braddock zwinkerte mit den Augen. »Ich kann zum Beispiel sehr ekelhaft werden und diesen Burschen sofort wieder einsperren lassen, wenn er etwa einen meiner Soldaten tätlich angreift.«
Dr. Mainetti nickte. »Er ist sehr jähzornig, dieser Walter Hertz«, sagte sie. »Ich werde einmal nachsehen, ob er nichts angestellt hat.«
Sie lächelte Rusch und Braddock an und verließ schnell das Dienstzimmer des Majors. Braddock wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte. Dann zündete er eine Zigarette an und blies den Rauch mit in den Nacken gelegtem Kopf hoch gegen die Zimmerdecke.
»Als Mann könnte ich Sie umbringen, Professor«, sagte er leise. »Ich habe mich in Lisa verliebt.«
»Ich weiß es. Lisa hat es mir gesagt.«
»Und Sie nehmen es so ruhig hin?«
»Weil ich Lisa selbst liebe, weiß ich, daß man es einem Mann nur übelnehmen könnte, wenn er sich in Lisa nicht verlieben würde. Es ist fast selbstverständlich, von ihr fasziniert zu sein.« Rusch blickte aus dem Fenster und hob den Arm. »Da – sehen Sie, Major Braddock. Ein Deutscher greift dort unten einen Ihrer Soldaten an!«
Auf dem Schulhof war ein kleiner Tumult entstanden. Walter Hertz hatte nach einer kurzen Absprache zwischen Dr. Mainetti und einem der MP-Soldaten die Fäuste geballt und war gegen die Brust des grinsenden Riesen gerannt. Nun trommelte er mit seinen Fäusten wie gegen einen Sandsack, bis der Soldat ihn wie ein störrisches Kind unter den Arm nahm und den
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