Das geschenkte Gesicht
Lisa Mainetti. James Braddock wußte nicht, ob es ehrlich oder wieder ironisch gemeint war. Er beschloß, das erstere zu glauben.
Nach der Umwandlung des Lazaretts Schloß Bernegg in eine Landes-Spezialklinik war die Tätigkeit Dr. Mainettis eigentlich beendet. Sie konnte gehen, wohin sie wollte, ihre Dienstverpflichtung war erloschen. Es war eine Kriegsmaßnahme gewesen. Da auch Dr. Stenton versetzt wurde, waren nur noch Professor Rusch und Dr. Vohrer als Ärzte auf Schloß Bernegg. Auch Dr. Vohrer hätte hingehen können, wohin er wollte; als Militärarzt war er entlassen. Er war in Bernegg geblieben und hatte um seine Anstellung nachgesucht. »Was soll ich jetzt in Hagen?« hatte er Rusch gefragt. »Sicherlich, Ärzte braucht man überall. Aber ich glaube, hier bei Ihnen habe ich den besten Platz. Darf ich bleiben, Herr Professor?«
Es war noch gar nichts entschieden, als Lisa Mainetti den ›Gestellungsbrief‹ mit Ruschs Unterschrift an Erich Schwabe schickte und ihn nach Bernegg holte. Nur ein neuer Arzt war aus München gekommen, gewissermaßen als eine Art ›amtliches Auge‹. Er berichtete an das Arbeitsministerium über Wesen und Arbeit der Bernegger Klinik. Mit Dr. Mainetti war er gleich am ersten Tag zusammengestoßen.
»Hier gab es einmal einen Arzt, der war braun«, sagte sie. »Ich hoffe, daß Sie nicht hier sind, um eine andere aktuelle Farbe zu verkörpern.«
Dr. Peter Sulzbarth verschluckte schicklich alle Bemerkungen und berichtete wahrheitsgetreu nach München: »Die Klinik ist dringend erforderlich. Sie ist bestens eingerichtet und mit 123 Gesichtsverletzten aller Grade belegt. Die Leitung ist bei Professor Rusch in den besten Händen. Neben ihm und Dr. Vohrer ist auch noch eine Frau Dr. Lisa Mainetti im Haus, eine qualifizierte Chirurgin, aber eine etwas schwierige Dame.«
Zunächst übernahm man provisorisch die alte Besetzung. Sogar der Famulus Baumann wurde als 1. Krankenpfleger mit Gehalt übernommen. »Noch ein Jahr, Herr Professor«, hatte er gebeten, »dann bin ich so weit, daß ich wieder studieren kann. Wenn ich so lange bleiben darf.«
So war das Wiedersehen mit Erich Schwabe nicht anders als eine Rückkehr von einem längeren Urlaub.
»Gott verhüte, daß nun auch der Wastl und der Berliner zurückkommen«, rief Baumann, als er Schwabe umarmte. »Wir haben nicht mehr die Kraft, euch alle noch einmal zu ertragen.«
Dr. Mainetti und Professor Rusch untersuchten Schwabe sofort. Sie gerieten in einen neuen Schmerzanfall hinein, der um so heftiger war, als Schwabe keinerlei Narkotika bei sich hatte. Stöhnend und mit den Zähnen knirschend, saß er im OP und umkrallte den Arm Lisa Mainettis.
»Mein Kopf«, wimmerte er. »Himmel – mein Kopf …«
Rusch injizierte ihm Eukodal und machte von seinem Schädel Röntgenaufnahmen in allen möglichen Ebenen. Schon Minuten später hielt er die noch feuchten, tropfenden Aufnahmen gegen das Licht der OP-Lampe. Es zeigte sich, daß sich zwischen dem Wundgrund und dem eingepflanzten Knochensplitter eine Verdickung gebildet hatte. Sie drückte auf einen Nerv und erzeugte den wahnsinnigen Schmerz. Rusch sah Dr. Mainetti kurz an. Lisa nickte.
»Was ist es?« fragte Schwabe leise.
»Mist ist es«, sagte Lisa laut.
»Die Nase«, Schwabe atmete tief durch. »Muß sie wieder weg …?«
»Ja.«
»Mein Gott. Geht es jetzt wieder von vorn los?«
»Es scheint so. Haben Sie keine Sehstörungen bemerkt?«
»Ab und zu ein Flimmern. Doch, doch. Und einmal habe ich alles doppelt gesehen.« Schwabe erinnerte sich an den ersten Fehlschlag mit seiner Nase. Auch damals waren diese Sehstörungen aufgetreten, und man hatte ihm gesagt, daß er nahe an einer Erblindung vorbeigekommen war. »Mein Gott, Frau Doktor«, stammelte er. »Ist es das wieder? Wie damals? Werde ich blind?«
»Nur keine Panik, Schwabe.« Professor Rusch legte die Röntgenbilder zur Seite. »Sie werden diese Nacht ruhig durchschlafen, und morgen gehen wir wieder an dieses Biest von Nase heran.«
»Und – wie lange dauert es?«
»Bis Sie wieder nach Köln zurück können? Etwa vier Wochen.«
»Unmöglich.« Schwabe rutschte vom Schrägen und legte wie zum Schutz seine rechte Hand über die Nase. »Das geht nicht.«
»Wieso denn nicht?«
»Meine Frau bekommt doch in den nächsten Tagen das Kind.«
»Ihre Frau – aber doch nicht Sie. Die bringt es auch allein auf die Welt.«
»Aber ich will dabeisein. Es ist – wie man so sagt – das größte Ereignis in meinem Leben.«
»Das
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