Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
Alex wusste, dass er ihm zugesetzt hatte. Er wollte, dass er abgelenkt war und nicht ganz bei der Sache.
»Wie auch immer.« Aus Henrys Miene sprach alles andere als Sorge um die Krankenschwester. »Für meinen Geschmack war sie zu hochnäsig. Ich hatte schon mehrfach den Verdacht, dass man sie uns untergeschoben hat, um ein Auge auf uns zu halten. Vielleicht ist sie zurückgepfiffen worden, jetzt, da die Sache zum Abschluss gebracht wird. Wir haben uns um Wichtigeres zu kümmern. Gehen wir.«
Alex folgte Henry, als sie in den Flur einbogen. Die Lampen waren größtenteils ausgeschaltet, so dass der Flur in dämmrigem Schatten lag. Als zwei weitere Pfleger, von deren Beteiligung an der Intrige Alex nichts gewusst hatte, den Arzt beschatteten, fragte er sich, ob die gesamte Anstalt womöglich nur eine Tarnung für die Aktivitäten dieser Leute war.
Die Schwesternstation war mit drei Schwestern besetzt, die alle in eine lockere Plauderei mit einem an dem etwas abseits stehenden Schreibtisch sitzenden Krankenpfleger vertieft waren. Auf dem Schreibtisch lagen Tabellen sowie ein unordentlicher Stoß Krankenakten. Als sie die finstere Truppe die Station betreten sahen, taten sie, als wären sie beschäftigt.
Im Frauenflügel des neunten Stocks war es ebenso dunkel wie auf der Männerstation. Die kleine Gruppe hielt kurz inne, als Alex’ Mutter, in dem Pyjama und dem rosafarbenen Morgenrock, den Alex ihr geschenkt hatte, unerwartet aus dem Waschraum geschlurft kam. Sie warf nur einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, ehe sie gähnend abdrehte und zu ihrem Zimmer ging. Sie hatte Alex, wie die anderen aus der Gruppe, direkt angesehen, er nahm jedoch nicht an, dass sie ihn wiedererkannt hatte.
Kaum war sie den Flur entlanggeschlurft und, ohne sich noch
einmal umzudrehen, in ihrem Zimmer verschwunden, stieß Henry Alex in die Frauenwaschräume. Sie waren besser ausgeleuchtet als der Flur, damit die Patienten sie bei Bedarf auch nachts benutzen konnten. An der Tür zu den Duschen war mit Klebeband ein Schild ›Außer Betrieb‹ befestigt.
Eine an der Wand lehnende Krankenschwester faltete ihre Arme auseinander und sah auf ihre Uhr. »Ihr seid früh dran.«
»Was macht das für einen Unterschied?«, schnauzte Dr. Hoffmann.
Sie zuckte die Achseln. »Nur, dass Yuri noch nicht da ist. Ich hab Dwayne länger bleiben lassen, damit er Yuri reinlässt, wenn er kommt.«
Dwayne – der Wachmann an der Hintertür, die Alex stets benutzte. Während er wartete, stand Alex mit hängenden Schultern da und versuchte unbeteiligt zu wirken. Nach der entspannten Haltung der Krankenpfleger schien es zu funktionieren. Nur wünschte er, sein heftig schlagendes Herz würde sich beruhigen.
Henry trat vor und zog die an seiner Gürtelspule befestigten Schlüssel hervor. »Wir brauchen Yuri nicht, um anzufangen.«
»Was hatte Helen Rahl hier drin zu suchen?«, erkundigte sich Dr. Hoffmann, als sich Henry am Schloss zu schaffen machte.
»Sie war austreten«, meinte eine der Krankenschwestern.
Durch die geöffnete, in den Duschraum führende Tür konnte Alex sehen, dass dort nur ein einziges Licht brannte. Der dahinterliegende, höhlenähnliche Raum hatte etwas Gespenstisches. Er sah aus wie ein Raum, in dem der Tod selbst lauerte.
Als er sah, dass Jax noch immer dort hing, schien sein Herz plötzlich bis zum Hals zu schlagen. Zusätzlich zu ihrer Augenbinde, hatte man sie jetzt auch noch mit einem durch ihren Mund gebundenen und hinter ihrem Kopf verknoteten Lappen geknebelt. Für jeden stockenden Atemzug musste sie sich, so
gut es irgend ging, mit den Zehenspitzen abstützen. Vor Anstrengung zitterten ihr die Arme.
In seiner Wut hatte Alex größte Schwierigkeiten, sich auf die Positionen der Umstehenden zu konzentrieren. Aber die musste er sich genau einprägen, wenn er nicht überrascht werden wollte. Eine Überraschung konnte tödlich sein. Er durfte sich keinen leichtsinnigen Fehler erlauben.
Ebenso wenig Jax.
Die Krankenschwester zog einen Holzstuhl mit gerader Rückenlehne heran, dessen Füße über den gefliesten Boden scharrten, ein Geräusch, das in den Duschräumen widerhallte. Sie platzierte ihn genau in die Mitte, nicht weit vor Jax. Alex erinnerte sich zwar an Jax’ achtlos weggeworfene Kleider, aber der Stuhl war ihm bislang nicht aufgefallen.
Mit erwartungsvollem Grinsen löste Henry die Augenbinde. Das unvermittelte Licht, obwohl nicht eben hell, ließ Jax blinzelnd die Augen zusammenkneifen. Sie taxierte jeden
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