Das Gesetz der Vampire
er wollte noch ein paar Blutsauger mit in den Tod nehmen. In nur vier Nächten hatte er jetzt achtzehn Vampire vernichtet, eine beinahe berauschende Erfolgsquote, die ihm als Mensch unmöglich gewesen wäre. Fast war er versucht, Rebecca Morris dafür dankbar zu sein, dass sie ihn durch ihre Rache zu einer perfekten Waffe gemacht hatte, um ihre eigene Art zu vernichten. Aber dafür war die Sache zu bitter für ihn.
Ashton fuhr durch die Straßen und hatte seinen Vampirspürsinn auf die größtmögliche Reichweite eingestellt. Doch er stieß nirgends mehr auf eine Präsenz. Er fluchte frustriert. Sie waren geflohen. Eigentlich sollte er sich geschmeichelt fühlen, bewies es doch, wie sehr sie ihn fürchteten. Andererseits fand er es seltsam. Er war nur ein einzelner Mann und beherrschte die Kräfte seiner neuen Existenz noch nicht allzu gut. Die Vampire hätten sich nur gegen ihn zusammenzurotten brauchen, und er wäre allein durch ihre schiere Übermacht erledigt gewesen. Stattdessen waren sie verschwunden. Das ergab keinen Sinn. Es sei denn, man ging davon aus, dass alle Vampire Feiglinge waren, was Ashton aus Erfahrung verneinen konnte.
Also wo steckten sie alle?
Bevor er darauf eine Antwort finden konnte, spürte er einen weiteren Vampir in der Nähe und folgte unverzüglich der Spur. Diesmal befand sich kein Mensch in Not. Der Vampir hatte es geschafft, sich Zutritt zur Baltimore County Public Library zu verschaffen und hielt sich darin auf. Ashton stellte seinen Pontiac auf dem Parkplatz ab und brauchte fast eine Stunde, um das Sicherheitssystem zu umgehen und beim Eindringen keinen Alarm auszulösen.
Doch nachdem er einmal drinnen war, hatte er den Vampir in Sekunden gefunden. Es war eine brünette Frau um die dreißig. Sie saß an einem Tisch in der Abteilung für präkolumbianische Geschichte und las in einem dicken Buch – ohne das Licht eingeschaltet zu haben. Sie blickte Ashton mit einem traurigen Lächeln ruhig und furchtlos entgegen.
»Hallo«, begrüßte sie ihn. Wenigstens nannte sie ihn nicht »Bruder« wie die anderen. »Bist du Ryder? Der Jäger?«
»Ja«, antwortete er verblüfft. »Woher wissen Sie das?«
Ihr trauriges Lächeln wurde breiter. »Der Alte hat alle Vampire vor dir gewarnt und uns geraten, die Stadt zu verlassen.«
Das erklärte das spontane Verschwinden der gesamten Kolonie. Der »Alte« war wohl so etwas wie deren Oberhaupt. »Aber Sie gehen mir nicht aus dem Weg«, stellte er fest. »Weshalb? Sicher hat der ›Alte‹ Ihnen doch auch gesagt, dass ich jeden Vampir töte, der mir über den Weg läuft.«
»Genau deshalb hatte ich gehofft, dass du mich findest und von diesem Dasein erlöst, das ich nie haben wollte.«
Ashton sah sie überrascht an. Noch nie hatte sich ihm ein Vampir freiwillig gestellt, damit er ihn tötete. »Ich habe mir sagen lassen, dass ein Vampir sich nur in die Sonne zu stellen braucht, um auf der Stelle zu sterben«, konnte er sich nicht verkneifen zu spotten.
»Das stimmt. Aber ganz so schnell geht das nicht. Falls du es noch nicht festgestellt haben solltest: auch wir Vampire haben ein Schmerzempfinden und einen Überlebensinstinkt. Ich habe einmal versucht, mich auf diese Weise umzubringen. Der Schmerz war so unerträglich, dass ich zurück in die Dunkelheit geflüchtet bin und seitdem nicht mehr den Mut zu einem zweiten Versuch hatte.« Sie klappte das Buch zu. »Ich habe seit acht Jahren versucht das Heilmittel zu finden. Ohne jeden Erfolg. Ich glaube, meine Mentorin hatte recht, als sie sagte, dass es ein solches Heilmittel nicht gibt.«
»Heilmittel? Wofür?«
»Um uns, die wir gegen unseren Willen verwandelt wurden, wieder zu Menschen zu machen. Es heißt, dass es vor ewigen Zeiten einmal ein Mittel gegeben haben soll, das die Verwandlung rückgängig machen kann. Aber wahrscheinlich ist das nur eine Legende. Alle Vampire, die ich danach fragte, sagten dasselbe: Ja, es gibt Gerüchte, dass ein solches Mittel früher mal existiert hat, aber nein, niemand weiß, ob das die Wahrheit oder ein Mythos ist.« Sie sah Ashton in die Augen. »Ich weiß nur eins: Ich will so nicht weiterleben. Deshalb habe ich auf dich gewartet. Du bist ein Jäger und hast sicher viel Erfahrung darin, das Ende schnell und weitgehend schmerzlos zu gestalten.«
Er nickte, immer noch verblüfft darüber, dass sie sich ihm freiwillig ergab. Das konnte natürlich auch eine Falle sein, mit der sie ihn in Sicherheit wiegen wollte, um ihn stattdessen zu töten. Falls das
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