Das Gesetz der Vampire
Staub.
Ashton stand auf, suchte die Toilette auf und wusch sich gründlich die Reste des Staubes ab, der an seinem Körper klebte. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass er erschreckend aussah. Sein Gesicht war eingefallen, sein Haar stumpf und strähnig. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und er wirkte wie ein Mann um die Fünfzig, der eine durchzechte Nacht hinter sich hatte, nicht wie der vitale Vierzigjährige, der er vor seiner Verwandlung gewesen war. Offenbar war das die Auswirkung seines Fastens. Schade nur, dass er nicht am Hunger sterben konnte.
Er trocknete sich ab und zog sich wieder an. Zum ersten Mal fühlte er sich schuldig, einen Vampir getötet zu haben, obwohl sie ihn darum gebeten hatte.
Er stellte verwundert fest, dass der Akt mit ihr seinen Hunger ein wenig besänftigt und ihn etwas gestärkt hatte. Trotzdem nagte der Blutdurst immer noch in seinen Eingeweiden. Er beschloss, sich sofort auf den Rückweg nach New York zu machen, da alle anderen Vampire in Baltimore offensichtlich die Flucht ergriffen hatten.
Das Buch, in dem die Vampirin gelesen hatte, lag immer noch auf dem Tisch. Er warf einen Blick auf den Titel. Es handelte sich um ein Werk über die Geschichte der Azteken. Die Vampirin hatte etwas von einem Heilmittel gesagt, das die Verwandlung rückgängig machen konnte. Für einen Moment keimte in ihm Hoffnung auf, doch sie verschwand sofort wieder. Wahrscheinlich war es wirklich nur eine Legende. Wenn sie tatsächlich acht Jahre lang nach diesem Mittel gesucht hatte, ohne es zu finden, war es recht unwahrscheinlich, dass es existierte. Und selbst wenn, so hätte das bedeutet, dass Ashton als Vampir hätte leben müssen, bis er es gefunden hatte. Das wollte er jedoch auf gar keinen Fall.
Sein Leben hatte zum ersten Mal seinen Sinn verloren, als Mary ermordet wurde und ein zweites Mal, als er Cronos getötet hatte. Es war nichts mehr übrig, für das sich noch zu leben lohnte.
Er warf die Kleidung der Vampirin in einen Abfalleimer, ehe er die Bibliothek auf demselben Weg verließ, wie er sie betreten hatte, setzte sich in seinen Wagen und fuhr in Richtung New York. Er war gerade zwei Blocks weit gekommen, als er einen weiteren Vampir in seiner Nähe spürte. Augenblicklich erwachte das Jagdfieber erneut in ihm. Die Sonne ging erst in drei Stunden auf, und das gab ihm genug Zeit, diesen einen Blutsauger noch zu erledigen. Er ortete ihn deutlich. Doch der schien Ashton im selben Moment auch zu bemerken. Offenbar vermutete er zu recht, dass die Präsenz zu dem Jäger gehörte, vor dem alle gewarnt worden waren, denn er machte kehrt und floh. Ashton nahm die Verfolgung auf.
Sekunden später spürte er zwei weitere Vampirpräsenzen, zu der sich der gesellte, dem er folgte. Ashton stoppte seinen Wagen und parkte ihn unauffällig in einer Seitenstraße. Gegen drei wachsame und verteidigungsbereite Vampire hatte er keine Chance, erst recht nicht in seinem geschwächten Zustand. Doch mit etwas Glück konnte er vielleicht gerade den zu seinem Vorteil nutzen. Falls sich diesmal jedoch sein Glück wendete und die Vampire ihn töteten – so wäre es eine verdammt gute Nacht zum Sterben.
Er ging langsam auf die drei zu. Sie standen an einer Kreuzung in einem Gebiet, das in der Nacht weitgehend menschenleer war. Es handelte sich um zwei Frauen und einen Mann – eine rothaarige Schönheit, eine unglaublich jung aussehende Südländerin und ein Schwarzer. Sie blickten ihm entgegen, als er näher kam und glaubten wohl, dass sie im Rudel vor ihm sicher wären.
»Hallo«, sagte er in einem Ton, als wäre er erleichtert, sie zu treffen. »Ich dachte, alle hätten die Stadt verlassen.«
»Alle bis auf uns«, bestätigte die rothaarige Frau und lächelte. »Wer hat denn schon Angst vor einem einzelnen Jäger?«
Etwas an der Art, wie sie es sagte, gefiel ihm nicht. Und die Art, wie alle drei ihn ansahen, gefiel ihm noch viel weniger. Aber zur Flucht war es bereits zu spät. Die Vampire rührten keinen Fingern, sondern starrten ihn nur an, doch in ihrem Blick lag etwas Zwingendes, Unwiderstehliches, das Ashton auf der Stelle zur Bewegungslosigkeit lähmte. Er spürte, wie eine Kraft in ihn eindrang, so gewaltig und grenzenlos, dass sie ihn schlagartig ernüchterte und seinen brennenden Hass auf Vampire vorübergehend auslöschte.
Sie hatten ihm eine Falle gestellt, und er war hinein getappt. Zudem erweckten sie nicht den Eindruck, als wollten sie ihm nur mahnend auf die Finger klopfen. Weiter kam
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