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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Widrigkeiten galt das »Borgo rosato« in Torre Calo als Refugium der Reichen, was angesichts der Zustände, die in Torre Calo vor zwanzig Jahren noch herrschten, nicht verwunderlich war. Der Unmut der restlichen Bewohner des Dorfes gegenüber ihren cittadini di lusso , ihren Luxusbürgern, wie sie gehässig genannt wurden, zeigte sich auf vielfältige Art und Weise: Graffiti auf den rosaroten Mauern, zerstochene Reifen und eine das gesamte soziale Leben durchdringende Missachtung, unter der vor allem die Frauen und Kinder zu leiden hatten, da die Männer selten zu Hause waren. Filippo erinnerte sich gut an all die gehässigen Geschichten seiner Schulzeit, die man über das »Borgo rosato« vom Stapel ließ, auch wenn seit dem Bau der Siedlung schon einige Jahre vergangen waren. Nie hatte er jemanden von dort wirklich kennengelernt, und jetzt, als dieses hübsche Mädchen vor ihm stand, schämte er sich stellvertretend für die dummen Sprüche seiner Mitschüler. Unwillkürlich ging dabei ein wenig von seiner Zurückhaltung verloren, und ihm entschlüpfte ein kleines Lächeln, das in Erinnerung an damals fast entschuldigend wirkte.
    Das Mädchen strahlte zurück. »Kommst du oft hierher?«
    »Nein.« Filippos Gesicht verschloss sich. Ihm war aufgegangen, was es bedeuten würde, wenn sie seinen Namen erfuhr. Sie würde wissen, wofür der Name de Caprisi stand. Es gab nur zwei Reaktionen darauf, Scham oder Mitleid, und beides, sosehr er daran gewöhnt war, mochte er an diesem Mädchen nicht sehen.
    »Ich helfe hier manchmal aus, an Wochenenden oder in den Ferien.« Sie schien seine Abwehr nicht bemerkt zu haben. »Gehst du nächste Woche zum Fest der Strega ?«, wollte sie wissen und strich sich kokett eine ihrer schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. »Ich gehe auf alle Fälle hin.«
    Filippo erstarrte.
    »Wir könnten uns treffen, wenn du willst.« Sie sah ihn forschend an. »Hast du was?«
    »Nein. Mir ist bloß kalt.« Er lächelte gezwungen. »Das Bad war wohl noch zu früh.«
    Das Mädchen nickte, doch ihr Lächeln war verschwunden. Sie legte den Kopf schief und schien etwas zu überlegen. »Ich weiß jetzt wieder, wer du bist«, sagte sie schließlich. »Du bist Filippo de Caprisi.«
    Filippo zuckte ein wenig zusammen.
    »Es macht mir nichts aus, weißt du.« Sie nahm die widerspenstige Haarsträhne in den Mund und kaute ein wenig darauf herum. »Ich wohne in den rosafarbenen Häusern, ich gehöre nicht dazu.«
    Filippo wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er starrte auf das Glas Cola auf dem Tisch. Der Bauchnabel des Mädchens wippte in Augenhöhe, und Filippo senkte den Blick noch ein paar Zentimeter weiter auf die Tischplatte.
    »Ich jedenfalls werde dabei sein«, fuhr sie unbekümmert fort. »Wahrscheinlich bei Cantucciolo an dem Stand neben der Bühne. Dort waren wir letztes Jahr auch. Möchtest du noch etwas?«
    Filippo schüttelte stumm den Kopf. Er zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und bezahlte seine Cola.
    »Also dann, ciao !« Sie wandte sich ab und ging zurück hinter die Bar.
    Filippo hob den Kopf, und bevor er wusste, was er tat, hatte er ihr schon hinterhergerufen: »Wie heißt du?«
    Sie drehte sich lächelnd um: »Chiara. Chiara Settesoli.«
     

MÜNCHEN
    Clara wusste, dass sie gewonnen hatte, lange bevor der Anruf kam. Sie hatte es bereits am Montag gewusst, als sie Oberstein gegenüber bei ihrem Treffen in seinem Büro Karl Killesreiter erwähnte. Während der Richter noch abfällig gelächelt hatte, als Clara ihm Massimo Moros Aussage vorgehalten hatte - Was kommen Sie mir denn mit diesem Drogensüchtigen? -, fiel ihm bei dem Namen des Oberstaatsanwaltes buchstäblich die Kinnlade herunter. Sie musste gar nicht ins Detail gehen, Oberstein wusste sofort, was kommen würde. Als habe er diese Möglichkeit, diese Gefahr immer vor Augen gehabt. »Was erlauben Sie sich …«, begann er und brach ab.
    Es gab keinen Zweifel, Killesreiters Aussage würde ihn zu Fall bringen. Clara sah es in seinem Gesicht: Oberstein fürchtete den kleinen Mann mit der Hakennase und den durchdringenden Augen, dem er in einem schwachen Moment die Waffe in die Hand gegeben hatte, mit der er vernichtet werden konnte. Wie oft mochte er das bereut haben? Sich gewünscht haben, diesen Abend aus seinem und Killesreiters Gedächtnis zu tilgen? Was hatte er gedacht, als Killesreiter gegen alle seine Erwartung geschwiegen hatte? Als der befürchtete Todesstoß nicht kam? Hatte er sich wieder sicher gefühlt?

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