Das Gesetz Der Woelfe
Wahrscheinlich. Seine Sicherheit war mit jedem Tag gestiegen, an dem keine kompromittierende Aussage Killesreiters auftauchte. Und sie war fast gänzlich zurückgekehrt, als er nach München geholt wurde, rehabilitiert und mit einer Rückendeckung, die man sich besser nicht wünschen konnte. Und doch. Irgendwo in einem Winkel seines Bewusstseins war ein Rest von dieser Furcht übrig geblieben. Irgendwie schien er immer gewusst zu haben, dass ihn diese Sache einmal einholen würde. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Alle Arroganz, all diese überhebliche Selbstsicherheit war von ihm abgefallen. Er starrte Clara mit offenem Mund an, als habe er soeben ein Gespenst gesehen.
Clara erwiderte seinen Blick kühl. »Wie ich sehe, sind Sie im Bilde.« Sie packte ihre Unterlagen wieder zurück in ihre Tasche und meinte abschließend: »Vielleicht überlegen Sie sich jetzt, ob Sie für meinen Mandanten etwas tun können, Herr Amtsrichter .« Sie ging, ohne sich zu verabschieden, und ließ den stummen Oberstein mit seinem Gespenst allein zurück. Mit einem herzlichen Lächeln bedankte sie sich bei der wackeren Frau Früchtel, die so lange auf Elise aufgepasst hatte, und ging mit dem sicheren Gefühl nach Hause, ihren Widersacher besiegt zu haben.
Als am Donnerstag der Anruf kam, war Clara nur überrascht darüber, wem diese undankbare Aufgabe zugefallen war: Eine ziemlich nervöse und kleinlaute Elisabeth Bloch-Stiegler war am Apparat, und Clara war sich sicher, dass es ihren Mann die rechte Hand des Justizministers, eine Menge Überredungsarbeit und wahrscheinlich noch einiges mehr gekostet hatte, seiner Frau den Anruf aufzubürden. Alles Feiglinge, dachte Clara grimmig und fragte Frau Kollegin Bloch-Stiegler honigsüß nach dem Grund ihres Anrufs. Es ginge um diesen armen Italiener, kam es zögernd, und Clara half ihr nicht: Welchen Italiener meinen Sie? Ach, so ja, Malafonte.
Nun …,
Clara konnte förmlich sehen, wie Kollegin Bloch-Stiegler sich wand.
… Es sei hier ganz offensichtlich zu einem etwas überzogenen Urteil gekommen und man - sie ließ offen, wer mit diesem man gemeint war -, man sei zu dem Entschluss gekommen, da dieser junge Mann ja schon seit einigen Wochen im Gefängnis sei und die Tat nicht ganz so gravierend, wie zunächst angenommen … Elisabeth Bloch-Stiegler holte tief Luft und versuchte, den Faden nicht zu verlieren, … also kurz und gut, der zuständige Staatsanwalt sei zusammen mit Richter Oberstein zu dem Entschluss gekommen, die Sache, äh - fallen zu lassen unter Anrechnung der bereits verbüßten Strafe, sodass Herr Malafonte schon am kommenden Montag entlassen werden könnte. Sie verstummte erschöpft.
»Spielen Sie mit dem Staatsanwalt Golf?«, wollte Clara wissen.
»Wie bitte?«
»Na, weil Sie für ihn und für Oberstein den Laufburschen spielen.« Clara grinste, als sie hörte, wie ihre Kollegin empört nach Luft schnappte und fuhr aufs Geratewohl fort: »Oder haben Sie gar die Seiten gewechselt? Werde ich Sie demnächst als Frau Staatsanwältin im Gerichtssaal begrüßen dürfen?«
Das betretene Schweigen auf der anderen Seite der Leitung verriet, dass sie mit ihrer Vermutung voll ins Schwarze getroffen hatte. Clara überlegte schnell. Wenn sie jetzt zustimmte, wäre Malafonte am Montag ein freier Mann. Dann hatte sie erreicht, was sie wollte. Aber das bedeutete auch, dass Oberstein völlig unbehelligt aus der Sache herauskommen und weitermachen würde wie bisher. Die Vorstellung widerstrebte ihr fast körperlich. Aber sie hatte gar keine Wahl: Angelos Interessen gingen vor. »Einverstanden«, antwortete sie daher knapp und schob ihr enttäuscht aufbegehrendes Gerechtigkeitsgefühl weit nach hinten in jene Schublade ihres Gewissens, in der schon ihr Weltverbesserungsdrang beleidigt vor sich hin schmollte.
Am Freitag holte Clara den eilig erlassenen Beschluss bei Gericht ab und fuhr sofort nach Stadelheim. Der Justizvollzugsbeamte Hase schien erleichtert darüber zu sein, seines unfreiwilligen Beschützerpostens so schnell enthoben zu werden. Claras Frage, ob sich in letzter Zeit für Malafonte bedrohliche Situationen ergeben hätten, wich er jedoch aus und meinte nur unbehaglich, diese ganze Bagage sei schwerer zu kontrollieren als ein Rudel Wölfe.
Ganz und gar nicht erleichtert nahm Angelo Malafonte die Nachricht über seine baldige Entlassung auf. Er starrte Clara an, als hätte sie ihm den Hinrichtungstermin mitgeteilt. Dann schüttelte er stumm den Kopf. Seine Lippen
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