Das Gesetz Der Woelfe
die Augen und summte die Musik mit. Die abgetretenen Bretter der Bühne knarzten, als hinter ihr Schritte ertönten. Sie ließ die Augen geschlossen. Jemand setzte sich neben sie. Unwillig sah sie auf.
Es war Mick.
Er sagte nichts. Saß einfach neben ihr, die Ellenbogen auf den Knien, die Hände gefaltet, und starrte geradeaus, nirgendwohin. Clara versuchte, sich einen Ruck zu geben. Doch was sollte sie sagen? Es tut mir leid, ich habe dich für einen fiesen Kerl gehalten, für einen Verbrecher? Sie schüttelte den Kopf und wandte ihren Blick von seinen Händen ab, die reglos zwischen seinen Knien ausharrten. Abwarteten.
»Ich dachte, du wärst nicht da«, sagte sie schließlich, nur um ein Gespräch zu beginnen, und bereute es im gleichen Moment.
»Hast du das geglaubt oder gehofft?«
Mick drehte sich zu ihr um, und Clara sah nichts in seinem Gesicht, das ihr Sicherheit gegeben hätte, nur kühlen, verletzenden Spott. Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Es war immer alles falsch. Der falsche Ort, die falsche Zeit, die falschen Worte. Sie wollte sagen, dass es ihr leidtat, dass sie mit den Nerven am Ende gewesen war. Sie wollte, dass er sie in den Arm nahm. Stattdessen saß sie stumm neben ihm, konnte ihm nicht einmal in die Augen sehen und kämpfte mit ihrem gottverdammten Stolz und ihren Tränen. »Elise ist wieder zurück«, brachte sie endlich heraus.
»Freut mich.« Mick stand auf.
Ihre Finger verkrampften sich zu einem weißen harten Knoten in ihrem Schoß. »Mick!«
Er blieb stehen und sah auf sie hinunter. »Ja?«
Sie konnte es nicht. Sie konnte kein Wort von dem sagen, was ihr auf der Zunge brannte. Es war, als ob ihre Stimme, ihre Lippen ihr den Gehorsam verweigerten. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Micks blaue Augen waren kühl und meilenweit von ihr entfernt. Er hob die Schultern und ging. Clara blieb sitzen und sah ihm trostlos nach, die Augen voll von ungeweinten Tränen. Er nickte jemandem im Schankraum grüßend zu, dann verschwand er aus ihrem Blickfeld. Sie stand auf und ging zu Willi und Linda, um Elise abzuholen. Dann verabschiedete sie sich von den beiden ohne weitere Erklärung, jedes Wort schien über ihre Kräfte zu gehen. An der Tür warf sie noch einen kurzen Blick zur Bar, doch Mick war nicht zu sehen.
Es war fast vier Uhr nachmittags, als Angelo Malafonte endlich das Untersuchungsgefängnis verlassen durfte. Clara wartete mit Willi in dessen Wagen vor dem Tor. Als Angelo endlich herauskam, mit schwerfälligen, schlurfenden Schritten, fühlte sich Clara jäh an Sean erinnert. An seine betont lässige Art zu gehen, an diesen verhaltenen Wiegeschritt, den die Jugendlichen heutzutage zelebrierten und der besagen wollte, mich kann nichts antreiben, nichts aus der Ruhe bringen, und der Clara jedes Mal bereits beim Zusehen vor ärgerlicher Ungeduld schier aus der Haut fahren ließ. Angelo bewegte sich ähnlich, jedoch war es bei ihm keine einstudierte Masche. Einer, der sich unsichtbar machen will . Er ging durch sein Leben wie einer, der nichts erwartete, der nicht zu wissen schien, wie ihm geschah, selbst wenn ihm Gutes widerfuhr. Aber war es wirklich gut? Was würde kommen?
Er schien sich ein wenig beruhigt zu haben seit vergangenem Freitag, lächelte sogar, als Clara ausstieg und ihm die Sporttasche abnahm, die offenbar all seine Besitztümer beherbergte. Sein Gesicht wurde runder, wenn er lächelte, das schwere Kinn, das immer so wirkte, als ob es seine Gesichtszüge nach unten zöge, wurde so ein wenig abgemildert. Sie packte die Tasche in den Kofferraum von Willis Wagen und ließ Angelo hinten einsteigen. Willi fuhr los. Es war viel Verkehr, und sie kamen nur langsam voran. Sie sprachen wenig während der Fahrt. Clara beobachtete immer wieder den Verkehr und suchte ein schwarzes Motorrad. Angelo saß am Fenster und starrte blicklos hinaus. Sein Gesicht war verschlossen wie eh und je. Sie brauchten fast eine Stunde bis Milbertshofen und dann nochmals zwanzig Minuten, bis sie die Straße gefunden hatten, die ihnen Rita auf einem Zettel notiert hatte. Ein großer, nichts sagender Wohnblock, in einem fahlen Gelb gestrichen. Im Erdgeschoss befanden sich ein Supermarkt und ein Schlüsselgeschäft, daneben ein Matratzendiscounter. Vor dem Gebäude war ein kleiner, gepflasterter Platz mit ein paar lieblos gepflanzten immergrünen Stauden und einer Bank ohne Lehne. Zwei türkische Frauen mit langen Mänteln und Kopftüchern
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