Das Gesetz Der Woelfe
den nassen Rinnstein fallen. »Na warte.«
Als Clara das Lokal betrat, überkam sie so etwas wie Wehmut. Ein Gefühl, das sich nicht in Worte fassen ließ, das sie jedoch traurig machte. Sie wünschte sich die Zeit zurück, als sie unbefangen und ohne Zögern in ihr Stammlokal gegangen war, ohne Erinnerungen an etwas, das ihr wie ein Traum erschien, ein verrückter Traum, der sie verlegen machte, weil sie ihn nicht allein geträumt hatte. Wahrscheinlich würde es nie wieder so sein wie vorher, nicht, solange Mick hinter dem Tresen stand. Sie nahm Elise, die sie schwanzwedelnd am Eingang erwartete, mit strafendem Blick am Halsband und ging mit flauem Gefühl im Magen hinein.
Er war nicht da. An der Zapfanlage stand ein breitschultriger Mann mit Halbglatze und Pferdeschwanz und stellte ein tropfendes, schäumendes Guinness nach dem anderen auf den Tresen. Tami, die rotblonde Austauschstudentin aus Australien, die tageweise im Murphy’s bediente, schob die nassen Gläser auf ihrem Tablett zurecht und studierte dabei die Bestellungen auf ihrem Block. Sie nickte Clara lächelnd zu und zeigte dabei ihre blendend weißen Hasenzähne. Clara schaute sich suchend um. Endlich entdeckte sie Willis dunklen Haarschopf in einer Ecke. Er saß an einem Tisch mit einer Blondine, die Clara nur von hinten sah. Erst als sie sich mit Elise zusammen an den anderen Tischen vorbeigezwängt hatte, erkannte sie Linda. Sie blieb stehen. Willi war mit Linda hier. Ihre Lust, mit ihm auf ihren Erfolg anzustoßen, verflog, und sie fragte sich irritiert, warum. Sie mochte Linda. Es war ihr wahrlich nicht verborgen geblieben, dass Linda ein Auge auf Willi geworfen hatte, und Clara hatte sich oft genug gefragt, wann er es endlich bemerken würde. Also gut, nun war es ihm endlich aufgefallen. Und jetzt saßen sie zusammen im Murphy’s, und es sah so aus, als ob sie sich angeregt unterhielten. Clara versuchte unauffällig, den Rückzug anzutreten, was in Gesellschaft eines Hundes von der Größe eines Kalbs kein leichtes Unterfangen war. Prompt bemerkte sie Willi und winkte ihr zu. Linda drehte sich um, und mit einer gewissen Befriedigung, für die sie sich nicht einmal schämte, sah Clara, dass Linda ein wenig verunsichert wirkte. Clara ergab sich seufzend in ihr Schicksal und steuerte auf ihren Tisch zu. Elise krabbelte, erleichtert, nun endlich angekommen zu sein, unter die Bank und ließ sich dort in ihrer ganzen imposanten Länge aufatmend nieder. Clara bestellte einen Whiskey und wünschte sich nachhause auf ihre Couch, während Willi ungewöhnlich redselig aus dem Nähkästchen plauderte und witzige Anekdoten aus dem Anwaltsalltag vom Stapel ließ. Linda lachte glockenhell, und Clara bemerkte säuerlich, dass Willi in den zehn Minuten, in denen sie hier saß, schon mehr geredet hatte als an so manchem Abend mit ihr. Als Tami mit den Getränken kam, griff Clara nach dem Glas und nahm einen großen Schluck. Es war nicht ihr Glas. Natürlich nicht. Wie sollte der Preisboxer hinter der Theke auch wissen, dass sie hier ein ganz persönliches Glas stehen hatte. Eines, das nur für sie allein da war. Womöglich hatte er es längst jemand anderem gegeben, und irgendein Typ an der Bar trank gerade seinen ordinären Bourbon daraus. Clara nahm noch einen Schluck. Das vertraute Gefühl, dieses Gemisch aus Wohlbehagen und Sehnsucht, das sie immer dabei überkam, mochte sich heute nicht einstellen. Langsam stellte sie das Glas zurück.
Willi und Linda diskutierten gerade über einen Film, den Clara nicht kannte, und als ihre Versuche, Clara mit einzubeziehen, an Claras einsilbigen Antworten abprallten, gaben sie es auf. Ihr Gespräch floss an Clara vorbei, ohne dass sie die Worte verstand. Die Geräusche um sie herum traten zurück, vermischten sich zu einem plätschernden, gleichförmigen Gemurmel. Clara sah in die Gesichter der Menschen um sie herum, sah ihre Lippen sich bewegen, ohne zu hören, was sie sagten. Lachen ertönte und Musik irgendwo im Hintergrund aus einer Lautsprecherbox: Marianne Faithfull, Lucy Jordan . Wie passend, dachte Clara und ließ sich auf der Welle des Weltschmerzes treiben, die sie erfasst hatte. Nach einer Weile stand sie auf und nahm ihr Glas mit. »Ich komme gleich wieder«, murmelte sie und flüchtete. Willi und Linda sahen ihr verwundert nach. Elise schnarchte unter der Bank.
Clara setzte sich auf die Kante der kleinen Bühne im Nebenraum des Lokals. Von hier waren weder Willi und Linda noch die Bar zu sehen. Sie schloss
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