Das Gesetz Der Woelfe
sein Wunsch, mehr daraus zu machen. Er liebte Clara. Irgendwie. Gleichzeitig hoffte er inständig, sie würde es nie bemerken. Er glaubte, recht gut darin zu sein, seine Gefühle zu verbergen, und Clara hatte ihrerseits noch nie zu erkennen gegeben, dass sie in Willi mehr sah als einen Kollegen und guten Freund.
Willi sah noch einmal auf die Uhr und seufzte. Nachdem die Bayerische Kleingartenverordnung nicht wieder aufgetaucht war, hatte es keinen Sinn, noch weiter hierzubleiben. Wo nur Clara blieb? Sollte er Elise mit zu sich nachhause nehmen? Er warf einen Blick auf den großen grauen Hund, der jetzt seinen Kopf zwischen die Pfoten gelegt hatte und tief zu schlafen schien. Linda war am Nachmittag mit ihm eine Stunde spazieren gegangen, und Elises Bedarf an Bewegung war damit vollauf gedeckt.
Gerade als Willi begonnen hatte, seinen Schreibtisch aufzuräumen, öffnete sich die Tür, und Clara kam herein. Willi erschrak, als er sie sah. Sie wirkte vollkommen fertig. Ihr Gesicht war bleich mit einem ungesunden gelblichen Schimmer, und auf ihrer Stirn glänzten Schweißperlen. Ihre Locken klebten feucht an den Schläfen, und die Lippen schienen überhaupt keine Farbe zu haben. Sie schien Linda, die sie aufgeschreckt begrüßte, gar nicht zu bemerken, sondern ging ohne ein Wort zu Willi hinauf und ließ sich erschöpft auf ihren Stuhl fallen. Ihr grüner Blazer war zerknittert, und Willi bemerkte, dass ihre Hände zitterten.
Willi öffnete den Mund, um tausend Fragen zu stellen, doch Clara kam ihm zuvor. Ungewohnt leise, mit einer Stimme, die Willi gar nicht von ihr kannte, bat sie ihn ohne weitere Erklärung: »Bringst du mich bitte nach Hause?«
Willi nickte besorgt und sprang auf. Er nahm Clara am Arm und hatte dabei das Gefühl, sie würde gleich in Ohnmacht fallen. Doch sie fiel nicht. Stumm ging sie neben Willi hinaus zu seinem Auto. Elise folgte ihnen. Erst als sie einstiegen und Willi die Dogge auf den Rücksitz seines alten Volvo springen ließ, sah er, worauf sie den ganzen Nachmittag so hingebungsvoll herumgekaut hatte: Es war sein Kommentar zur Bayerischen Kleingartenverordnung, den sie wie eine Trophäe vor sich hertrug. Mit spitzen Fingern zog er das Buch aus Elises Maul. Es hatte die liebevolle Behandlung nicht gut überstanden. Er würde ein neues Exemplar brauchen. Mit einem Seufzer klemmte er es sich unter den Arm und beeilte sich, Clara nach Hause zu bringen.
KALABRIEN
Ma sulu che veramenti vali
U cori i petra è prontu a suffriri …
Nur der ist auserwählt,
der ein Herz aus Stein hat und bereit ist zu leiden …
Aus: »Omertà, Onuri e Sangu; Il Canto di Malavita«
Traditionelle Lieder der kalabresischen Mafia
Mimmo Battaglia sah Filippo entsetzt an. »Weiß deine Großmutter, was du vorhast?«
»Ja«, antwortete Filippo wahrheitsgemäß. Zumindest fast. Immerhin wusste sie, dass er etwas vorhatte, wenn auch nicht ganz genau, was es war. Was sie nicht wusste, war die Tatsache, dass er heute hier in den Räumen des Calabrese saß und mit Mimmo Battaglia sprach. Sie hätte es im höchsten Maße missbilligt.
Mimmo schwieg einen Augenblick. Er war ein kleiner, dicklicher Mann mit gekräuseltem Haar, das hinter den ausgeprägten Geheimratsecken noch immer dicht und buschig wucherte und seinen Kopf wie eine Wolke aus weicher Wolle umgab.
»Hör mal, Filippo«, begann er, doch Filippo schnitt ihm das Wort ab.
»Ich bin nicht gekommen, um zu hören, was alles dagegen spricht.«
Mimmo lächelte, doch es war keine Freude in seinem Gesicht: »Was du tun willst, ist sehr mutig, Filippo, aber auch sehr dumm. Dein Vater …«
»Mein Vater hat damit nichts zu tun«, unterbrach ihn Filippo leise, aber deutlich. Er war blass geworden, noch blasser als sonst, und seine schwarzen Augen saßen wie Kohlestückchen in dem weißen Gesicht. »Ich möchte wieder schlafen können, das ist alles«, fügte er schließlich noch hinzu.
Mimmo betrachtete ihn eine ganze Weile, ohne etwas zu erwidern. Filippo fiel auf, dass er dicker geworden war, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vor vielen Jahren war das gewesen. Sein Kinn, seine Wangen waren schlaffer, und seine Augen wirkten müde. Plötzlich, als habe er sich innerlich einen Ruck gegeben, fiel alles Gönnerhafte, alles Verbindliche von Battaglia ab, und er presste die Kiefer einen Augenblick aufeinander, bevor er knapp sagte: »Ich verstehe.«
Filippo überlegte nicht zum ersten Mal, weshalb er ausgerechnet zu Mimmo gekommen
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