Das Gesetz Der Woelfe
unwirklich und gleichzeitig tröstend in dieser bedrückenden Umgebung. Sie wartete, bis die beiden außer Hörweite waren, dann lief sie in schnellen Schritten an Wachtmeister Hases Seite und rief: »Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder?«
Doch er nickte und lächelte zum ersten Mal ein wenig. »Aber sicher. Ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist, so einen Schmarrn zu machen, aber es war so. Und es war ein ziemlich dämlicher Fluchtversuch, um genau zu sein.«
Es sei am Morgen passiert, fuhr er fort, während sie weiter den Flur entlanghasteten. Die Häftlinge, fast alles Untersuchungsgefangene, hätten wie immer beim Frühstück gesessen, plötzlich sei Malafonte aufgesprungen und auf die Essensausgabe zugerannt. Dort sei er über den Tresen gesprungen und in die Küche gerannt. »Hat wohl gedacht, er kommt da irgendwo raus«, meinte Hase, und in seiner Stimme schwang fast so etwas wie Mitleid über eine solche Dummheit mit. Die Beamten seien ihm sofort gefolgt. Einer der Küchenangestellten habe ihn aufgehalten. Als Malafonte die Beamten kommen sah, habe er sich losgerissen und sei wie ein Verrückter gegen die verschlossene Tür gerannt. Der junge Mann schüttelte betrübt den Kopf: »Wirklich, wie ein Verrückter. Er hat sich den Kopf gestoßen, hat geschrien, war total in Panik, als wären die Hunnen hinter ihm her. Wir haben versucht, ihn festzuhalten, aber er war vollkommen ausgetickt, hat um sich geschlagen und die ganze Zeit geschrien.« Er verstummte, das Bild vor Augen, und zuckte verständnislos mit den Achseln. »Er ist eigentlich ein ganz Unauffälliger, wissen Sie. So einer, der versucht, sich unsichtbar zu machen.«
Einer, der versucht, sich unsichtbar zu machen . Das traf Malafontes Charakter so genau, dass Clara ihrem Begleiter einen erstaunten Blick zuwarf. Sie nickte langsam. Ja, sie konnte seine Ratlosigkeit über den Vorfall nur zu gut verstehen. Malafonte hatte etwas an sich, das einen ständig an das Kaninchen im Angesicht der Schlange denken ließ und einen bereits vom Zusehen kribbelig machte. Seltsam passiv und wie gelähmt schien er zu sein, bereits mit den Anforderungen des täglichen Lebens überfordert, ständig auf der Suche nach einem Schlupfloch, einem Versteck, in das er sich verkriechen konnte, um unbehelligt von all der Unbill, die sich über ihm zusammengebraut hatte, zu bleiben. »Konnten Sie verstehen, was er gesagt hat?«, fragte sie. Hase schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich kann kein italienisch.«
»Und sonst?«, forschte Clara weiter, »Haben Sie eine Idee, warum er so ausgeflippt sein könnte? Ist irgendetwas vorgefallen?«
Der Beamte blieb vor einer Zellentür rechts von ihnen stehen, machte aber keine Anstalten, sie zu öffnen. Er schien sich mit einem Mal unbehaglich zu fühlen. »Eigentlich war alles ganz ruhig, vorher …« Er zögerte und verstummte schließlich.
»Und? Uneigentlich?«, versuchte Clara ihm auf die Sprünge zu helfen und sah Hase aufmunternd an.
Der junge Mann begann, sich am Hals zu kratzen, was ein schabendes Geräusch verursachte und Clara mit Schaudern an die wunde Haut unter seinen Fingernägeln denken ließ.
»Hören Sie auf damit«, entfuhr es ihr unwillkürlich, und als er verblüfft innehielt und sie ansah, fügte sie besänftigend hinzu: »Davon wird das Jucken auch nicht besser.«
Er nickte abwesend und ließ die Hand sinken. »Mir ist da schon was aufgefallen, aber ich weiß nicht, ob es überhaupt zu dem Vorfall gehört.« Er machte ein unglückliches Gesicht.
Clara wartete und versuchte, seine linke Hand zu ignorieren, die schon wieder Richtung Hals wanderte und dann abdriftete, um sich den kurz geschorenen Nacken zu reiben.
Nach einer Weile fuhr er entschlossener fort: »Ich bin noch einmal zurückgegangen zu seinem Tisch, nachdem wir ihn so weit beruhigt hatten. Ich wollte sichergehen, dass wir nichts übersehen haben. Und ich habe etwas gefunden.« Er fasste in die Brusttasche seines Hemdes und zog ein winziges Stück Papier heraus, so klein zusammengefaltet, dass es nicht größer war als ein Daumennagel. Er gab es Clara, die es mühsam und mit kaum unterdrückter Erregung auseinanderfaltete. Der Zettel war zerknittert und von Fettflecken übersät. »Es muss ihm irgendwie ins Frühstück geschmuggelt worden sein, denke ich«, fügte der Beamte, nun eifriger werdend, hinzu. »Meine Kollegen meinten, es wäre nichts, ich solle es wegwerfen, man weiß ja nicht einmal, ob es ihm gehört. Es hat nämlich auf dem
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