Das Gesetz Der Woelfe
»Setzen Sie sich bitte, wir sollten uns ein wenig unterhalten.«
Angelo stand zögernd auf und setzte sich auf die andere Seite der Pritsche, mit dem Rücken zur Wand und zog die Beine zu sich heran. Er war unglaublich mager, Clara fiel dies noch mehr auf als gestern, seine großen Hände wirkten wie aufgepfropft auf die schmalen Handgelenke, und an den Fingerknöcheln hatte er mehrere dunkle Schürfwunden, so als ob er mit den Fäusten gegen die Wand oder eine Tür geboxt hätte. Auch sein Gesicht war zerschrammt, ein Kratzer zog sich vom Haaransatz über die Stirn bis zu den dunklen Augenbrauen, und die Haut auf dem Wangenknochen darunter begann sich bereits blau zu verfärben. Der Beamte hatte gesagt, Malafonte sei mit dem Kopf gegen die verschlossene Tür gelaufen. Wie ein Verrückter, hatte er gemeint. Clara kam das weniger verrückt vor, sondern eher wie das instinktive Verhalten eines Tieres. Ein Tier, das man in die Enge treibt, reagiert auf diese Weise. Sie hatte von Pferden gehört, die kopflos irgendwo hinuntersprangen oder gegen einen Laster prallten, in ihrer blinden Flucht vor einer Gefahr. Sie biss sich auf die Lippen und überlegte, wie sie das Gespräch beginnen sollte, ohne sofort wieder an eine Mauer zu stoßen.
Sie reichte ihm den Zettel und sagte vorsichtig: »Ich weiß, was das bedeutet.«
Angelo nahm ihn nicht entgegen, sondern schüttelte nur verzweifelt den Kopf. »Das können Sie nicht wissen.«
Sie zog die Hand zurück und warf selbst noch einmal einen kurzen Blick auf die ebenso einfache wie unheimliche Zeichnung. »Man will Sie töten. Die weiße Katze will Sie umbringen lassen. Das ist es, was man Ihnen damit mitteilt, nicht wahr?« Und dass das überall und jederzeit passieren kann, sogar im Gefängnis, fügte Clara in Gedanken hinzu, sprach es jedoch nicht aus. Es war nicht nötig.
Angelo nickte stumm und vergrub sein Gesicht hinter seinen Händen. Wie ein Kind saß er in der Ecke unter dem Fenster, ein verängstigtes Kind.
Doch Clara konnte ihm keine Tröstung geben wie einem Kind, konnte ihm die Angst vor dem Monster im Schrank oder einer Bestrafung wegen eines schlimmen Streiches nicht nehmen. Sie konnte nicht sagen, es wird alles wieder gut werden. Was hast du verdammt noch mal getan, Angelo Malafonte?, schrie es in ihrem Inneren, rede endlich mit mir, du verdammter Idiot! Doch sie sagte nichts. Jede dieser direkten Fragen würde sofort die Fensterläden zuklappen lassen, das hatte sie mittlerweile gelernt. Doch andererseits war er im Augenblick in so verzweifelter Verfassung, dass er vielleicht von selbst etwas sagen würde, sagen musste. Irgendwann zerbröckelt jedes Schutzschild, dachte Clara traurig, wenn nur der Druck hoch genug ist.
»Darf man hier rauchen?«, fragte sie und zog ihre Zigaretten heraus. Angelo schüttelte den Kopf: »Ich weiß nicht«, meinte er unsicher.
Sie zündete sich eine an und reichte die Schachtel an Angelo weiter. »Einsperren können sie uns ja nicht mehr.« Es war ein flacher Witz, aber auf Angelos Gesicht erschien dennoch ein dünnes Lächeln, während er sich eine Zigarette anzündete. Er tat es mit vorgehaltener Hand, als ob er die Flamme gegen Wind schützen wollte, nach Art der Cowboys in der Zigarettenwerbung im Kino. Im Schein der Flamme war seine Wunde auf der Stirn deutlich zu sehen. Der Kratzer war nicht tief und bereits an den Rändern verschorft. Über der Augenbraue hielt ein blasses Pflaster den größeren Teil zusammen.
»Erzählen Sie mir ein bisschen etwas von zuhause«, schlug Clara vor, während sie rauchten und die Asche in den Deckel der Schachtel abklopften, weil es keinen Aschenbecher gab. »Wie ist es dort? Sicher ist das Wetter schöner?« Was für ein Quatsch, dachte sie bei sich. Wir sitzen hier in einer Gefängniszelle, haben eine Morddrohung am Hals, und ich rede über das Wetter.
Doch Angelo schien die Frage nicht als so blödsinnig zu empfinden, wie sie war. Er ließ den Rauch langsam durch die Nase entweichen und dachte anscheinend ernsthaft nach, was er ihr erzählen sollte. »Es ist schön«, sagte er schließlich. »Die Berge, das Meer.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung. »Sie sind hoch, die Berge, ganz kahl und wild. Es gibt Wölfe dort.« Er verstummte und sackte wieder in sich zusammen.
Clara unterdrückte einen Seufzer. So kamen sie nicht weiter. Sie begann, in ihrer Tasche zu kramen und zog schließlich das Bild des heiligen Thaddäus hervor. »Gehört das Ihnen?«, fragte sie und fügte
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