Das Gesetz des Irrsinns
nickte: Na endlich! Da zog mein Nebenmann den Maiskolbenstöpsel heraus und trank. Die Köpfe hinter dem Holzzaun nickten: Na endlich! Nun zog auch ich den Papierstöpsel aus einer Flaschenöffnung, Rotwein. Und Hände zeigten, wie man isst. Also los! Ich trank einen Schluck, einen zweiten, griff zum Fischkuchen: süßsaurer Mansch! Ich öffnete zur Probe eine zweite Flasche, Zwetschgenschnaps, probierte von der Buttercremetorte, die musste mit Weißwein runtergeschwemmt werden. Die Hände am Zaun schaufelten weiter: Bloß mit Kostproben konnte den Toten keine Ehre erwiesen werden! Und weil die Hitze so groß war und weil der Bürgermeister mehrfach zeigte, gestisch, wir sollten es uns bequem machen, setzten wir uns neben die Gräber, aßen und tranken für die Toten: Fischkuchen und Rotwein und Buttercremetorte und Weißwein und Zwetschgenschnaps. Wenn wir nicht weiter aßen und tranken, wurden Steinchen geworfen: Die Toten nicht beleidigen durch Appetitlosigkeit! Also weiter Fischkuchen und Buttercreme und Wurst und Rotwein und Schnaps und Weißwein – ich stöpselte die Flaschen nicht mehr zu, der Rotwein machte durstig, also Weißwein, der Weißwein reichlich süß, also Rotwein, und Weißweinrotweinschnaps. Ich legte mich neben das Grab, stützte den Ellbogen auf, mein Körper wie ausgedroschen von der Hitze, mein Kopf wie aufgebläht von Weißweinrotweinschnaps, lässig griff ich nach Fischkuchen und Buttercreme, fraß, rauchte, trank, und nicht nur das Essen, nicht nur der Wein, der Schnaps beschleunigten den Herzschlag: Ich lag da, trockene, steinige Erde, der andere unter mir tot, ich fraß Fischkuchenbuttercremefischkuchen, der andere tot, ich soff Weißweinrotweinzwetschgenschnaps, heiß der Körper, groß der Kopf, aber leben, Fischkuchen, der andere tot, Buttercreme, leben, der andere tot, leben, leben!«
Anhang 2
Im Anschluss an Frachtflüge nach Weißruthenien sammelte Borowski Eindrücke in Minsk, das fast völlig in Schutt und Asche liegt, wobei – so Borowski in einem Feldpostbrief an die Familie – auf »geradezu gespenstische Weise« drei Bauten inmitten der Trümmerfelder und Trümmerhaufen erhalten blieben: Die orthodoxe Kathedrale, die Oper der sozialistischen Werktätigen, das Kunstausstellungsgebäude in der vormaligen Karl-Marx-Straße.
Sich als ›Kriegsberichterstatter‹ ausgebend, berichtete Orlowski in einem Beitrag zur Zeitschrift
Die Kunst
über die dortige Sammlung von Sowjetprodukten, charakteristische Machwerke hervorhebend.
Beispiel eins: Drei Mann der Revolutionszeit in Öl auf Leinwand, »erstarrt dastehend mit ihren Flinten, rechts Gummibaum, links Gummibaum, in der Mitte Leninbüste«.
Beispiel zwei: Auf einem Aquarell das »architektonische Monstrum der Oper, reingeklotzt in die ausgestreute Ansammlung von Blockhäusern«.
Beispiel drei: Als Holzplastik ein alter Mann mit langem Bart, und er »spielt, Augen geschlossen, mit klobiger Pranke eine Drehleier«.
An den Schluss des Berichts setzte Borowski eine Formulierung von Goethe: »Ist wert, dass es zugrunde geht …«
Lieber Borowski, in Anlage überbringt unser Kradmelder einen weiteren Beitrag zur Sicherungskopie des D r G / VH -Faszikels.
In Anbetracht der hochrangigen Besetzung des Telefonats (in zwei Phasen) werde ich förmlich in der Benennung der Gesprächsteilnehmer: Der Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung in Personalunion mit dem Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz Dr. Joseph Goebbels, Wilhelmplatz, und Generaloberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht, Führerhauptquartier Wolfsschanze (im Wechsel mit Obersalzberg).
Bevor G. seine Forderungen nannte, eine richtungsweisende Erklärung: Auf der Terrasse seiner oberbayerischen Residenz habe der Führer klargestellt, dass im Kolberg-Film keine Rekruten der Grundausbildung, sondern einzig und allein Fronttruppen zum Einsatz gelangen sollen. Eventuelle Verschleißerscheinungen dürften in keinster Weise erkennbar werden; unter diesem Aspekt könnte man auch frontverwendungsfähige Kontingente aus der norwegischen Etappe abziehen.
Zweite Phase des Telefonats: Generaloberst Jodl hat wunschgemäß disponiert. Mehrere Truppenteile des Heeres wurden und werden für die Dreharbeiten am K-Film befristet freigegeben und mit Marschbefehlen auf den Weg geschickt. So sind 46 von 115 Zügen der 2 . Geb. Div. von Oslo abgefahren und 44 von 60 Zügen der 6 . Geb. Div. 44 . Die ersten 37 Züge
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