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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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(Offenbar gibt es Wehrmachts-Depots, in denen, nach Bombenschäden in der näheren Umgebung, jeweils ein Teil der Bestände unter »Verlust« abgeschrieben und als Tauschobjekte auf Seite gelegt wird.)
    Auf einem BMW -Krad mit Beiwagen bringt Hubalek die Kurierpost nach Carinhall. Sie wird in der Regel von Borowski in seiner Funktion als Persönlicher Adjutant angenommen und quittiert. Es dürfte sich um Begleitschreiben zu Abhörprotokollen handeln, die traditionell als Matrizenabzüge auf braunem Papier (intern auch: »Braune Freunde« oder »Braune Vögel«) übermittelt werden – wobei, wie eingangs erwähnt, gewisse Zusatzinformationen an uns vorbeigeschleust werden. Soweit die Meldungen nicht an die FA -Zentrale retourniert werden, sichert sie Borowski in einem Safe mit Geheimnummer.
    Hier hat sich eine Verbindung eingespielt, die von vorgeschriebenen Dienstwegen abgekoppelt ist. Der korrekte Empfänger wäre Reichsmarschall Hermann Göring als Chef des Forschungsamtes. Der Bequemlichkeit halber wurde (auch hier!) delegiert, dies unter der Devise: RM muss den Kopf freihalten für wichtige Vorgänge und Entscheidungen. In Anbetracht seiner vielfach konstatierten (Rück-)Entwicklung bedarf es hier keines weiteren Kommentars.
    Der korrekte Absender der Kurierpost wäre Clemens Prinz von Hessen-Nassau. In Nachfolge seines (vergangenes Jahr) über Italien abgestürzten Bruders hat er, mit Görings Plazet, die Leitung des Forschungsamtes übernommen. Auch C. sitzt lieber in der Kanzel einer Ju 88 als am Schreibtisch in der Schillerstraße. Hinzu kommt der Lehrauftrag an der Akademie der Luftwaffe (Spezialgebiet Flugboote), was wiederum zur Aufwertung der Rolle Borowskis geführt haben dürfte, der, wie bereits erwähnt, ebenfalls an der Akademie unterrichtet hat, wobei man sich offenbar kennen- und schätzenlernte.
    Wie unser Verbindungsmann, SS -Stubaf und Oberregierungsrat Plaas, vertraulich berichtet, lässt Göring als Leiter des FA infolge diverser Nebentätigkeiten (vor allem der Jagd!) die Zügel schleifen, obwohl die Zahl der Mitarbeiter innerhalb eines Jahrzehnts erheblich angestiegen ist. Die Besetzung diverser Dienststellen (etwa der Chiffrier- und Horchleitstelle) ist überproportional angewachsen. Hinzu kam die Einrichtung von Außendienststellen (etwa der Forschungsleitstelle Erfassung in Köln-Deutz, der B-Stellen in Eutin wie in Prien am Chiemsee, der Horchsammelstelle bei der Festungsfunkstelle Königsberg). Wie Ministerialrat Schröder, FA -Hauptabteilungsleiter Kryptologie, bestätigt, ist das Anwachsen des Personals verbunden mit stetigem Nachlassen der Leistungsfähigkeit der Einrichtung. Eine Entwicklung, die, nach meiner Einschätzung, letztlich nur durch unsere Übernahme des FA zum Positiven gewendet werden kann.
    Heil Hitler! Ihr ergebener Kaltenbrunner.

    Anhang 1
    Rumänien. Leutnant Borowski an der östlichen Donaugrenze, im Rahmen unserer militärischen Sicherung der Erdölquellen von Ploiesti; Einsätze bei Aufklärungsflügen im grenznahen Luftraum Sowjetunion.
    Vom Fliegerhorst Galati aus erfolgten an dienstfreien Tagen zuweilen Exkursionen aufs platte Land. In einem Fall wurde der Einladung in eins der umliegenden Dörfer Folge geleistet. Dazu Borowski in einem überprüften Brief der Feldpost, offenbar verfasst in einem Zustand alkoholisch bedingter (für ihn jedoch charakteristischer) Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit.
    »Auf Bitten des Bürgermeisters gingen wir zu dritt zum Friedhof, wurden vor drei Gräber geführt: Deutsche, Jahrzehnte zuvor gestorben. Die Gräber geschmückt, frisches Grün in Erwartung der Besucher. Im Grabschmuck steckten Flaschen und Zigarettenpackungen, dort lagen Holzplatten, Tonteller mit Brot, Wurst, Fischkuchen, Buttercremetorte. Dorfbewohner schauten über den Holzzaun. Der Bürgermeister stand ein Stück hinter uns Waffenbrüdern, aufmunternde Handzeichen. Wir schauten auf die Kreuze, Schweigeminute. Dann blickte einer den anderen an: Ob wir jetzt gehen können? Doch der Bürgermeister trank pantomimisch, die Dorfbewohner tranken pantomimisch, stopften sich pantomimisch die Mäuler voll. Wir drei irritiert: Ruhe und Ehrfurcht vor Toten, Hände vors Geschlecht – und jetzt essen und trinken, hier an den Gräbern? Noch energischer die Winkzeichen der Rumänen. Ungefähr vierzig Grad Hitze, staubiger Friedhof, einer der Kameraden hob eine Flasche hoch, je drei Flaschen auf einem Grab, er schaute sich um, Flasche in der Hand, der Bürgermeister

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