Das Gesetz des Irrsinns
die Rettung durch ein Flugzeug der italienischen Achsenmacht. Dieser Außendreh musste abgeblasen werden: Montgomery trieb das Deutsche Afrika-Korps und die Divisionen der Jungen Faschisten vor sich her Richtung Westen. Als Ausweich-Drehort der weitläufige Strand von Ostia. Und damit, wie vom Skript vorgesehen: Ein Motor des Fernaufklärers fällt aus, Notlandung, Bauchlandung im Sand, Verletzungen, Prellungen und vorerst keine Aussicht auf Hilfe. Die Besatzung schließlich kraftlos beisammen liegend. Den Tod vor Augen erfolgt kameradschaftliche Absprache in der gemeinsamen Liebe der beiden Piloten zum selben Mädel in Berlin. Schließlich die unverhoffte Rettung: Wrack und Besatzung werden von einem italienischen Aufklärungsflugzeug entdeckt, die Retter riskieren eine Landung im Sand, Umarmungen und Trinkwasser, endlich.
Und hier fingen die Probleme an für Regisseur Karl Ritter. Massiv störende Fakten: Die Landung amerikanischer Invasionstruppen in Sizilien … Mussolini vom Großen Faschistischen Rat per Mehrheitsbeschluss abgesetzt … Italiens Waffenstillstand mit den Alliierten … Einmarsch der Wehrmacht in Italien, der Fall Achse … Das bedeutete für den Film: erneute Schnittauflagen. Die am italienischen Strand simulierte Notlandung, vor allem die Rettung durch italienische Fliegerkameraden: nach dem Achsenbruch nicht mehr opportun, musste eliminiert werden.
Der verkürzte, ja verstümmelte Film erreichte nicht mehr das übliche Zeitmaß von etwa neunzig Minuten. Also mussten zusätzliche Spielfilmszenen entworfen und gedreht werden. Etwa: bei einem Aufklärungsflug (zu einem sicherheitshalber nicht mehr genannten Ziel) entdeckt einer der lustigen Vier eine Wespe im Cockpit, die Besatzung ist fürs erste mit Wespenjagd beschäftigt, der Eindringling wird erfolgreich abgeknallt. Und ein anfeuerndes Fliegerlied wird angestimmt, mal wieder. Doch all diese Zusätze waren umsonst, nach dem Probestart wurde die revidierte Fassung des Films zurückgezogen.
RM gebärdete sich, als wäre Fernaufklärer Dora vom Prop.min. abgeschossen worden. Das will er nicht auf sich beruhen lassen. Unter seiner Schirmherrschaft soll der Film – nach formgerechter Übernahme der Rechte – zu einem späteren Zeitpunkt neu gedreht werden.
Göring hat denn auch einen »Sonderfonds Dora« eingerichtet: Gelder, die vom Etat des laufenden Vierjahresplanes der Rüstungsindustrie abgezweigt und auf ein Sperrkonto überwiesen werden. Auch schaut und hört er sich um nach einem neuen Drehbuchautor: alles muss total umgekrempelt werden. Bei veränderter militärischer Gesamtlage sollen die Dreharbeiten denn auch umgehend starten.
Bis dahin darf der Karl Ritter zur Verfügung gestellte Fernaufklärer nicht mehr zum Einsatz gelangen. Die Maschine wird auf dem Fliegerhorst Gatow in sicherem Hangar abgestellt. Und RM , in aufflackernder Emphase: Sobald die Qualmwolken endlich abgezogen sind, wird die He 45 wieder starten, vor laufender Kamera, Farbfilm eingelegt! Jawohl, Farbfilm, für eine Neuproduktion kommt nur Farbfilm in Frage! Das sind wir uns und unseren Nachkommen schuldig!
Soweit das Neueste aus Carinhall in der Schorfheide. Mit herbstlichem Gruß, Borowski.
Lieber Borowski, beinah hätte ich unserem Kradkurier die Fahrt ersparen können, wäre persönlich in Carinhall aufgetaucht, in zivilem Gewande: Hundertschaften vom Forschungsamt waren eingesetzt zur Kartoffelernte.
Jawohl, zur Kartoffelernte! Dies auf Grund einer Anordnung von Gauleiter und Reichsminister Goebbels, und das wiederum auf Anregung des Reichsführers- SS . Andere Ämter und Behörden wurden gleichfalls zum Ernteeinsatz verpflichtet.
Nach einem flammenden Appell vor der lädierten Fassade unseres Dienstgebäudes wurden wir mit Lastwagen der SS aufs Land verfrachtet. Bei Beelitz haben wir zwar nicht Spargel gestochen, dafür aber saisongerecht Kartoffeln geklaubt. Was Sie RM gegenüber lieber nicht erwähnen, er würde schäumen vor Wut – sein Forschungsamt: zweckentfremdet!
Lastwagen der Waffen- SS : wir sehen darin ein Zeichen, fast ein Menetekel. Himmler wartet ja schon lange darauf, unser Amt in das RSHA zu integrieren, diesbezüglich sehen wir im Ernteeinsatz einen Probeübergriff – wenn auch verbrämt.
Also: während der Druck auf unsere Fronten wächst, während unsere Städte der Baedeckerliste nach zerbombt werden, verweilen wir drei Tage auf dem Acker und klauben Kartoffeln. Die Fernsprech-Erfassungsstelle steht leer, die
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