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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Natürliche Zuchtwahl! Selbstverständlich das leitende Prinzip, doch es bleiben gravierende Fragen offen. Ich formuliere nun betont naiv: Die Blüte kann sich nicht selbst betrachten im Vergleich, kann dem passenden Schmetterling nicht charakteristische Details abgucken und lupenrein umsetzen in Form und Farbe.
    Noch einmal, frei nach Nabokov: Es wird nicht bloß imitiert, kopiert, wie es zur Abwehr von Fressfeinden oder zum Anlocken von Bestäubern gerade mal ausreicht, vielmehr werden Details mit einer Präzision herausgearbeitet, die nicht nur dem Selbstschutz oder der Fortpflanzung dient, sondern fast schon Selbstzweck ist, spielerisch. Als ginge es darum, der Evolutionslehre Schnippchen zu schlagen, ja ihr mitzuspielen.
    Was im Pflanzenreich perfektioniert wird, findet frappierende Entsprechungen in der Präzision von Signalkopien im Tierreich. Eine Raupe nimmt das Aussehen von Vogelkot an, um nicht, letztlich, als Vogelkot ausgeschieden zu werden … Ein Schmetterling nimmt millimetergenau die Form eines von Raupen angeknabberten Blattes an, damit er nicht (weiter) angenagt wird.
    Eins meiner Lieblingsbücher unter naturwissenschaftlichen Schriften: Wolfgang Wickler,
Mimikry
.
Nachahmung und Täuschung in der Natur
(München 1971 ). Eine wahre Wunderkammer! Dennoch von Wissenschaftern als »grundlegend« akkreditiert.
    Konrad Lorenz hat das Vorwort verfasst. Er bezeichnet das Phänomen der Mimikry als »Prüfstein der Selektionslehre«. Und berichtet, unter anderem, wie er in seinem Institut »selbst vom Nachahmer getäuscht wurde. Ich brachte von unserem Fischimporteur in München neben einigen Exemplaren des Putzerfisches Labroides, der andere Fische von Parasiten und anhaftendem Schleim reinigt, auch einige seines Nachahmers Aspidontus mit, der sich jenen unter der Maske des Symbionten nähert, um ihnen Löcher in die Haut und in die Flossen zu beißen. Wolfgang Wickler untersuchte dann beide Arten gründlich. Der besondere Fall von Mimikry war deshalb so interessant, weil der Nachahmer den Putzer so ungeheuer genau nachahmen muss: Die zu täuschenden Fische sind nämlich nicht nur scharfsichtige, sondern auch kluge und lernfähige Wesen, und um sie zu überlisten, muss Asponditus nicht nur Form und Farbe, sondern auch das Verhalten von Labroides haargenau imitieren.«
    Um den Hintergrund der Kapitäns-Rollenprosa weiter zu erhellen, einige Beispiele, zumeist nach Wickler.
    Wenn »in Baumhöhlen nistende Kleinvögel, etwa Meisen« im Nest gestört werden, zischen sie »unter langsamem seitlichen Hin- und Herschwanken mit offenem Schnabel ähnlich wie eine Schlange«.
    Ich frage mich, wie es zu dieser »abschreckend wirkenden Nachahmung des Schlangenzischens« kommen kann. Dass eine Meise vor vielen, vielen Generationen eine Schlange beobachtet und belauscht hat, sich daraufhin einübte auf das Zischen im Frequenzbereich von 8 bis 12 kHz, dies sodann genetisch fixierte und tradierte – wie so etwas möglich ist, das hätte ich gern mal plausibel erklärt. Ziehen Tiere verschiedener Arten aus Beobachtungen Schlüsse, die das Überleben der Gattung oder Familie sichern im Verlauf der Entwicklung? Aber wie, Mister Darwin, kommt es zur Entstehung derart, pardon: ausgepichter Verhaltensmuster? Woher das präzise Wissen über Wahrnehmungsweisen von Feinden, woher die exakte Abstimmung auf eine Schwingungsfrequenz? Was überträgt sich auf welche Weise? Fragen hinter den Fragen, die ein Fitzroy stellt, Fragen, denen sich Reisebegleiter Darwin nicht so recht stellen oder aussetzen will. Genau dies setzt meine Geschichte in Gang.
    Weiteres Beispiel, diesmal an Wickler vorbeirezipiert: Fledermäuse orten ihre fliegende Nahrung durch Echolotsignale im Ultraschallbereich; ein Nachtfalter hat am Unterleib einen Rezeptor ausgebildet, der schwingungsgenau auf die Frequenz der regionalen Fledermausart eingestellt ist; registriert dieser Empfänger ein Echolotsignal, setzt der Falter augenblicklich an zu einem Trudelsturzflug, der selbst der wendigsten Fledermaus das Zuschnappen versagt.
    Ich frage mich: Kann es bloß eine Reihung von Zufällen sein oder von Trial and Error, die zur Entwicklung des schwingungsgenau justierten Empfängers führte? Forscher können sich auch hier auf die bewährte Antwort zurückziehen: Alles im Rahmen der Evolution, über Millionen Jahre hinweg, sodann ins genetische Programm übernommen, im Rahmen von Überlebensstrategien. Aber könnte nicht auch ein Element Spiel im Spiele sein, wie bei

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