Das Gesetz des Irrsinns
in einer Region stärker akzentuiert, wird in einem Nachbarrevier leicht reduziert; Linien werden mit kleinen Abweichungen gezogen. Es sind vor allem Passionsschmetterlinge, an denen sich regionale Varianten nachweisen lassen – insgesamt fünfundzwanzig Muster beim Kopieren von Phänotypen. Wie lässt sich (auch) das erklären?
Für Experten des »Evo-Devo« (Evolutionary Development) ist die Antwort auch hier klar: Alles von Genen gesteuert! Die wichtigsten Gene des Entwicklungsprogramms lassen sich nach Sequenzierungen sogar benennen: Kinesin-Gen, LRR -Gen. Die also steuern Änderungen der Farbmuster. Wie aber findet dabei Feinabstimmung statt? Ergänzender Hinweis: Ein und dasselbe Gen kann (gesundes) Zellwachstum wie (maligne) Zellenwucherung steuern, es kommt auf das Timing von Aktivieren und Deaktivieren an. Wie aber wird dieses Timing gesteuert?
Übertragen auf Schmetterlinge: Wenn regional kleine Unterschiede wichtig sind, wie werden die erkannt, gespeichert, transformiert? Form- und farbgebende Gene – wie werden sie bei regionalen Varianten aktiviert, dirigiert? Das geht wohl kaum evolutionär automatisch vor sich, es muss abgeglichen, abgestimmt werden. Setzt das Beobachtung voraus, die sich umsetzt? Herrscht hier auch freies Spiel? Könnte, müsste man nicht gewisse Spiel-Räume in den äonenlangen Evolutionen konzedieren?
Der junge Naturforscher Darwin: zuweilen irritiert, ja konsterniert durch (damals wahrnehmbare) Muster der Mimikry? Und Kapitän Fitzroy? Er interpretierte solche Phänomene anders als der Naturforscher an Bord. Hielt er einen »deus ludens« für denkbar, einen Schöpfer, der (auch!) spielerisch gestaltet, was über pure Zweckmäßigkeit weit, weit hinausreicht? Mir kommt ein Doppelsatz des Forschers und Nobelpreisträgers Jean-Henri Fabre in den Sinn: »Je ne crois pas en Dieu. Je le vois.« Er glaubt nicht an Gott, er sieht Ihn in Geschöpfen, vor allem des Insektenreichs. Ein Gott also wohl, der nackte Zweckmäßigkeit mit üppiger Phantasie verbindet.
Solch eine These konnte im neunzehnten Jahrhundert noch rezipiert, akzeptiert werden. Heutzutage dürfte man hier einen Schritt zu viel machen auf Glatteis, das nicht trägt: unerwünschte Nähe zu amerikanischen »creationists«, für die unsere Welt trotz aller Forschungsergebnisse sechstausend Jahre alt ist, weil das so in der Bibel steht. Diesen Sektierern gegenüber kann es nur heißen: Keep distance!
Vielleicht aber lässt sich zumindest dies sagen und schreiben: Gewisse, höchst elaborierte Spielformen liegen in der Natur der Natur. Wie wäre es also mit:
Natura ludens
? Wenn auch letztlich zweckgebunden als Mittel zum Überleben der Spezies?
Ein Doppelbeispiel für Doppelspiel: Imitationen von Würmern als Köder für Fische. Die Geierschildkröte
Macrolemys temminckii
sperrt zur Fresszeit das Maul soweit auf wie möglich. Kontrastierend zur schwärzlichen Tönung der Mundhöhle zeigt sich nun an der Spitze der (ebenfalls schwärzlichen) Zunge ein roter, wurmähnlicher Fortsatz, »der durch Muskeln hin und her bewegt wird. Fische, die ähnlich aussehende Beutetiere suchen, versuchen daran zu zupfen, stecken dabei aber schon mit ihrem Vorderkörper im weit aufgerissenen Maul der Schildkröte, die dann blitzschnell ihre gewaltigen Hakenkiefer zuklappt.«
Oder: der mit winzigen, auf der Rückenfläche wuchernden Korallenimitaten getarnte Anglerfisch
Phrynelox scaber
zeigt an seiner kaschierend ausgefransten Oberlippe einen zahnstocherähnlichen Stift, nach vorn ragend wie beim Einhorn, und vorne dran bewegt sich eine wurmähnliche Attrappe. Fische, die sich von diesem Köder anlocken lassen, sie werden blitzschnell eingesaugt.
Es wird Zeit, dass ich hier Redaktionsschluss einleite, denn ständig werden neue Angebote präsentiert in Text und Bild. Ein pfeilförmiger Fisch, der wie ein Stück Seegras dahindriftet, halb vertikal … Ein Plattschwanzgecko, der sich auf Madagaskar in Form und Farbe so perfekt der rissigen Borke, den Moosen und Flechten von Bäumen anpasst, dass ich auf großformatiger fotografischer Wiedergabe lange hinschaun muss, bis ich erkenne, wo der Kopf ist, wo das Auge. Auch dieser Gecko kann sich, so wenig wie Schmetterlinge, selbst auf den Rücken schauen zu Anpassung, Abstimmung, eventuell Nachbesserung – trotzdem die übergenaue Imitation!
Zum Schluss des Exkurses muss ich unbedingt noch von den Verstellungs- und Fälschungskünsten eines Tintenfischs und eines Oktopus berichten.
Aus der
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