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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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für Schenk dennoch der absolute Höhepunkt gewesen sein muss: Auf der kleinen Plattform an der Spitze der Cheops-Pyramide mit Blick auf die Wüste westwärts und die Grünzone am Nil ostwärts spielte er, gemeinsam mit Kronprinz Ludwig, einige Choralvariationen zu »Ehre sei Gott in der Höhe«.
    Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sei ergänzend vermerkt, dass Schenk als Musiker nicht völlig ausgelastet war, und so übernahm er bereitwillig die Aufgabe, Fundstücke und käuflich erworbene Souvenirs (vom Kronprinzen jeweils mit eigenhändig beschriebenem Begleitzettel versehen) aufzulisten, zu verpacken, zu verwalten. Der Thronfolger gehörte glücklicherweise nicht zu den Ägyptenreisenden, die bei der Heimkehr zur Rechten eine lebensgroße Mumie, zur Linken ein ausgestopftes Krokodil hinter sich her schleifen, wichtiger waren ihm transportgerechte Mirabilia wie Falkenmumie und Affenmumie, wie das Haargeflecht einer Frauenmumie und der Schädel (rechte Gesichtshälfte weggebrochen) einer Männermumie. Hinzu kamen seltene, sorgsam präparierte Vögel wie Goldstirnsittich und Breitschwanzbussard, wie Lanzettschwanzpipra und Grünschnabel-Tukan, wie Sonnenralle und Schwarzer Geier, wie Glanzente, Moschusente, wie Rotbug-Amazone, Pfefferfresser, wie Tyrannenvogel, Pompadourkotinga.
    Was Wunder, dass Schenk nach der Rückkehr weithin gefeiert und von den Großen unserer Zeit mit offenen Armen empfangen wurde. So hatte er das Vergnügen, mit E. T. A. Hoffmann Billard spielen zu dürfen, und der dichtende, komponierende, zeichnende Jurist wuselte – wie einstmals der noch kleinere Mozart – mit dem Queue um den Billardtisch herum, fast unablässig auf Schenk einredend, wenn auch infolge lückenhafter Frontzähne bis zur Unverständlichkeit vernuschelt – und doch, und doch, wie viel übertrug sich da!
    Ja, und mit Beethoven konnte Schenk mehr als einmal ausprobieren, wie viel man schmalbrüstigen Hammerclavieren zumuten kann, wie viele Saiten sich bei vehementer Improvisation sprengen lassen – zuweilen spielten sie vierhändig, der alternde Schenk, der Heißsporn aus Bonn, und stets zerfetzte Beethoven mehr Saiten als Schenk, auch hörten beim Zugriff des Titanen mehr Tasten auf zu repetieren, die wurden denn übersprungen, so wirkte Zufall ein auf das freie Fantasieren.
    Ja und Goethe, selbstverständlich lernte Schenk auch Goethe kennen, in der Karlskirche zu Karlsbad spielte Kurgast Schenk dem Kurgast Goethe eine Kirchensonate vor, der Orgelbalg getreten von einem Karlsbader Buben. Als die Schlussakkorde verklungen waren, gesellte sich Schenk zu Goethe, sie verharrten Schulter an Schulter auf einer der Kirchenbänke, Goethe begann zu sprechen, unter anderem von seiner Begegnung mit Napoleon: Der Feldherr, der Staatsmann war dem Dichter in Erfurt entgegengetreten, weiß die Hose, vorgewölbt das Bäuchlein, blau die Jacke, breitkrempig der Hut. So hatte ihn auch Johannes Schenk vor Augen; umso aufmerksamer verfolgte er, wie, laut Goethes Bericht, der Kaiser entmachtet und mit dem Kriegsschiff
Bellerophon
auf die ferne, allzu ferne Insel St. Helena verschubt, dort eingewiesen wurde in das stets von feuchten Winden überstrichene Haus Longwood am Hangsattel. Und wie ein englischer Sergeant das heißbegehrte Eau de Cologne hinaufbrachte, auf das sich Napoleon, bei zunehmender Korpulenz, angewiesen fühlte. Dies ganz besonders, wenn er zu diktieren begann, was seinen Ruhm durch Nachruhm ergänzen sollte.
    Dagegen verebbte bei Johannes rasch der Komponistenruhm; es fiel gleichsam von ihm ab, was sein Leben bunt angereichert hatte. Trotz beinah unermüdlichen Schöpfertums hat Schenk nicht das verdiente Echo, ergo auch nicht das verdiente Auskommen gefunden, er stürzte ab von der Höhe seiner Aspirationen in die Tiefe der Desperation, sprich: der äußersten Armut – ein Schicksal, das uns aufs Innigste verbindet.
    Ach, ich kann nur konstatieren: Schenk war einsam und verlassen, war als Lehrer nicht mehr gefragt, seine Singspiele wurden immer weniger aufgeführt, Noten für seine Instrumentalmusik befanden sich kaum noch im Handel. Er wohnte, nein: hauste im vierten Stock eines Wiener Mietsgebäudes – eher Dachkammer als Wohnung. Kein Ausblick auf barocke Kirchturmkuppeln, nur Nahblick auf sinistre Dachwohnungen.
    Er konnte die Behausung schließlich bloß noch bei guten Witterungsverhältnissen verlassen: keine Kleidungsstücke zum Wechseln, alles verbraucht, verschlissen. Bei Regen, erst recht bei Schneeregen,

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