Das Gesetz des Irrsinns
wie Schulenburg im September 1944 ihre damals 64 -jährige Mutter auf der Längsstange seines Fahrrads von Anrath zum Sammelpunkt in Krefeld fuhr.« Dies zu einer Zeit, da Aachen bereits hufeisenförmig von amerikanischen Truppen umfasst war und man in Krefeld wie in Köln das Artilleriedröhnen der Westfront hörte.
Kein singulärer Fall! Ein begleitendes Beispiel, Stichwort Rhodos.
Nachdem Italien, kurz nach der Invasion amerikanischer Truppen auf Sizilien, den »Stahlpakt« mit dem schrumpfenden Großdeutschland aufgekündigt hatte, wurde September 1943 auch die (bis dahin italienisch verwaltete) Insel Rhodos von deutschen Truppen besetzt.
In der ersten Julihälfte 1944 traf SS -Offizier Anton Burger auf der Insel ein; er war ein Vierteljahr zuvor Kommandant des Konzentrationslagers Theresienstadt gewesen, war Mitarbeiter von Adolf Eichmann; gemeinsam mit einem Kollegen organisierte er die Deportation aller Juden der Insel.
Ihm unterstellt: Generalleutnant Ulrich Kleemann. Er ließ am 20 . Juli die jüdischen Männer und einen Tag später die jüdischen Frauen und Kinder auf dem Flugplatzareal des ehemaligen italienischen Luftwaffenkommandos zernieren – den Frauen war angedroht worden, alle Juden würden erschossen, falls auch nur eine einzige Person dem Befehl nicht nachkomme. Folgte die Anweisung, sämtliche Wertsachen mitzunehmen.
Drei Tage lang waren die Juden auf dem Militärstützpunkt eingesperrt, dann wurden sie eingeschifft. Mehrere der zur Ausführung abkommandierten Soldaten waren nur mit Nachdruck vom Sinn des Einsatzes zu überzeugen; Diskussionen über die »Judenaktion« wurden »im Interesse der eingeleiteten Maßnahmen« untersagt.
Auf drei kleinen Schiffen, bereits beladen mit Heeres-Leergut und Schrott, wurden 1674 Juden zusammengepfercht; die Schiffe legten am 24 . Juli 1944 ab. Die Deportierten durften sich nur mit gesenkten Köpfen an Deck bewegen; wer den Kopf hebt, so die Drohung, wird erschossen. In den ersten drei Tagen gab es nichts zu essen, nichts zu trinken. Ein großer Teil der Juden wurde schließlich im Kohlenbunker des Hauptschiffs eingesperrt. Erst nach einer Zwischenlandung auf der Insel Leros gab es Wasser und Verpflegung. Die Überfahrt dauerte insgesamt zehn Tage.
Im Hafenviertel Piräus wurden die Juden (mehrere von ihnen waren unterwegs gestorben, weitere starben an den Folgen von Misshandlungen) in einer Kaserne eingesperrt. Sämtliche Wertsachen wurden ihnen abgenommen – es fanden auch Körpervisitationen statt. An einem Bahnhof wurden die jüdischen Griechen in gedeckte Güterwagen gepfercht – jeweils etwa siebzig. Mehr als zwei Wochen lang dauerte die Reise nach Auschwitz. Zahlreiche Tote in den Waggons. Die meisten Überlebenden wurden sofort in die Gaskammern getrieben.
Auf der Insel war die »Judenaktion« noch nicht abgeschlossen: einer war entkommen und in die Berge geflohen. Etwa dreißig Soldaten wurden dazu abkommandiert, den Flüchtling festzunehmen. Feldmarschmäßig ausgerüstet, waren sie mehrere Tage lang ausschließlich damit beschäftigt, den entflohenen Juden aufzuspüren. Was schließlich auch gelang. Dabei geschah nicht, was in Konzentrationslagern tausendfach vorkam und was im Kampf gegen Partisanen üblich geworden war: dass er »auf der Flucht« erschossen wurde. Vielmehr wurde er zum Hafen eskortiert und auf einem kleinen Schiff separat zum Hafen von Piräus gebracht. Weil der Güterzug mit den Deportierten längst unterwegs war, mussten zwei Infanteristen den Juden in einem fahrplanmäßigen Zug nach München begleiten, in einem Dienstabteil. Die beiden Soldaten gingen bald recht gelassen mit dem Gefangenen um, gaben einen Teil ihrer Marschverpflegung ab, spielten Skat mit ihm. Deportation unter dem Zeichen wachsender Vertrautheit. In München wurde der Jude »ordnungsgemäß« dem SD übergeben und dem nächsten Sammeltransport nach Auschwitz zugeteilt.
Eine Woche später zogen sich die deutschen Truppen aus Griechenland zurück. Weil mittlerweile kein Schiffsraum mehr zur Verfügung stand, konnte die Truppe auf Rhodos nicht mehr evakuiert werden. So lautete die Parole: Kampf bis zur letzten Patrone. Doch man kapitulierte rasch nach der Besetzung der Insel durch einen englischen Truppenverband.
Ich habe mir den »Geschäftsverteilungsplan« einer »Stapostelle« (in Düsseldorf) angeschaut. Demnach war solch eine Amtsstelle jeweils mit einem Dienststellenleiter und drei oder vier Referenten besetzt, denen weitere Mitarbeiter
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