Das Gesetz des Irrsinns
Kunstauffassung, aber mit den Farben des 17 . Jahrhunderts. Ich fand Mittel, das Gemälde so herzustellen, dass es den fünf Proben, denen ein Bild aus dem 17 . Jahrhundert unterworfen wird, standhalten kann. Ich wollte in einem niederländischen Museum hängen, das ist mir geglückt!«
Und zwar mit der Vermeer-Fälschung »Christus und die Jünger von Emmaus«, in den dreißiger Jahren in Südfrankreich gemalt und über Kunsthändler an das Museum Boymans-van Beuningen in Rotterdam verkauft, für 550000 Gulden. Das wären heute etwa siebeneinhalb Millionen Euro. Ein hoher Preis als Gewähr und Garantie für Echtheit! Die wurde durch eine hochrangige Expertise bestätigt. Das Gemälde wurde im Museum als Wunderwerk der Malerei fast angebetet.
Hier nun besteht der entscheidende Unterschied zwischen Meegeren und Verdonck: Han verkaufte insgesamt fünf gefälschte Vermeers mit religiösen Motiven, vier von ihnen in den Niederlanden, und dies mit ebenfalls hoch angesetzten Preisen. »Die Fußwaschung«, während des Krieges gemalt, wurde vom niederländischen Staat für 1250000 Gulden erworben – heute, umgerechnet, etwa 17 Millionen Euro. »Das letzte Abendmahl« im Großformat: für 1600000 Gulden an den Sammler van Beuningen verkauft. Fast genau diesen Preis musste auch Göring zahlen. Einer unter mehreren höchst lukrativen Verkäufen also; insgesamt verdiente van Meegeren mit diversen Fälschungen rund siebzig Millionen Euro. Von einem konspirativen Sabotageakt gegen deutsche Restdevisen konnte die Rede also nicht sein, ich habe für meine Geschichte also nur Details übernommen, van Meegeren hat nicht Modell gestanden für Verdonck.
Die Selbstrechtfertigung meines gefälschten deutschbelgischen Kunstfälschers ist abgestimmt auf Zeitfakten und Zeitfaktoren. Und dies ganz besonders auf eine spezifische Konstellation: Deutschlands chronischer Mangel an Devisen, dringend benötigt zum Kauf kriegswichtiger Rohstoffe und Produkte im schein-neutralen Ausland wie Schweden und Schweiz. Als Beispiel: Wolfram für die kriegswichtige Stahlproduktion.
Über die (rasch entstandenen) Devisen-Engpässe im Dritten Reich informiert (auch) Christoph Buchheim: »Das NS -Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland«. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Juli 2008 .
Aus solchen Publikationen stammen ›Originalpigmente‹, abgestimmt auf den Zeitraum meiner faktennahen Textfälschung. Sie soll wirken wie der Bericht über eine ›wahre Begebenheit‹.
Vom Gold im Mund des Führers. Ich hätte die Geschichte nicht schreiben können ohne Kenntnis der Dissertation der (aus Ostanatolien stammenden) Zahnärztin Menevse Deprem-Hennen.
Hitlers Leibzahnarzt: Hugo Johannes Blaschkes Leben zwischen Politik und Zahnheilkunde.
Universität Düsseldorf 2007 .
Ich habe allerdings eine Parallelfigur zu Blaschke entwickelt. Dies im Spielraum der Wahrscheinlichkeit, denn: Nicht immer konnte H. J. Blaschke rechtzeitig zur Stelle sein, wenn Hitler behandelt werden musste, im fernen Führerhauptquartier. So konnte ich auch hier der Wahrheit einen größeren Spielraum verschaffen.
Es geht schließlich nicht primär um einen Leibzahnarzt des Führers, sondern um spezifische Nachwirkungen der NS -Ära. Ein Enkel jenes SS -Zahnarztes wird in den Vordergrund gerückt; mit ihm offenbart sich eine Mentalität, die nicht nur charakteristisch ist für Sammler von Militaria. Symptomatisch: der Instrumentenkoffer von Hitlers Leibzahnarzt als Berührungsreliquie für zahlungskräftige Kunden, die stimulierenden Grusel suchen.
Zu diesem »plot« ein weiterer Impulsgeber: die fachspezifische Binnensprache. In die musste ich mich durch Fachlektüre einarbeiten. Freilich gab es eine Art Einstimmung: Die Textcollage
Zahn um Zahn,
publiziert in einem Buch, das ich nicht mehr nachgedruckt sehen möchte (wozu auch kein Anlass besteht):
Unternehmen Rammbock.
Das Sprachmaterial hatte ich dem Fachblatt
Der freie Zahnarzt
entnommen – die ersten fünf Hefte des Jahrgangs 1972 . Mehr zum Vergnügen als zur Erklärung erst mal ein paar der Quizfragen, in jenen Heften vorgelegt: »Was ist der Passavant’sche Wulst …? Welche Möglichkeiten der Expansion bestehen für zahnärztliche Einbettmassen …? Nach welchen Ebenen wird der Bisswall der oberen Bissschablone beim Zahnlosen ausgerichtet …? Wie hoch vermuten Sie den Anteil von Knirschern in der Gesamtbevölkerung …? Ist Nelkenöl pulpenfreundlich …?« Schwer, solche Wörter einfach
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